Feminismus und Christentum?

Markus Körber

Hallo,

ich war auf dem evangelischen Kirchentag 2013, mir gefiel alles Recht gut. Das Angebot war interessant und stellte die Vielfalt der gesamten evangelsichen Kirche dar. Wirklich alles sehr gelungen. Nun waren auch feministische Theologinnen dort, eine äußerte sich sehr positiv zu sogenannten "polyamoren" Beziehungen.

Wie ist dies mit dem christlichen Glauben vereinbar? Ich dachte immer man soll nicht die Ehebrechen. Auch andere feministische Aussagen wie Abschaffung des Patriachat, aber waren die Menschen des alten Testamentes nicht Patriachten, wie z.B. Abraham.

Was ist aus der Sicht der feministisches Theologie so schlimm an dem Patriachat?

Sehr geehrter Herr Körber,

 

in der Tat zeigt sich bei den Deutschen Evangelischen Kirchentagen der Protestantismus in einer Vielzahl seiner Profile und Ausprägungen. Es ist schön, dass für Sie, wie für viele Menschen, von dieser Bewegung nachdenkenswerte Impulse ausgehen.

 

Einer dieser Impulse macht sich für Sie am Begriff „Patriarchat“ fest. Wörtlich bedeutet dies „Herrschaft des Vaters“. Bereits in der Antike (bei Aristoteles) wurde das Patriarchat als ein Modell staatlicher Lenkung verstanden. In der Bibel werden die „Erzväter“ des Volkes Israel, wie beispielsweise Abraham, „Patriarchen“ genannt. Diese Bezeichnung haben sie allerdings nicht, weil sie modellhaft die patriarchale Gesellschaftsordnung repräsentierten (das taten sie auch), sondern weil das griechische Wort „arche“ auch „Anfang“ bedeutet: Abraham, Isaak, Jakob stehen (neben den Erz-Müttern Sara, Rebecca, Lea und Rachel) der Erzählung im Buch Genesis zufolge am Beginn der Geschichte Israels.

 

Heute wird der Begriff „Patriarchat“ soziologisch verwendet: Er umschreibt eine mögliche Herrschaftsform, die Familie und Gesellschaft in der Weise bestimmt, dass die gesellschaftlichen Institutionen durch die Klasse, Rasse, Abstammung und Religion von Männern geprägt werden. Analysen des Patriarchats decken auf, dass gesellschaftliche Gegebenheiten, die uns auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen, letztlich Ergebnisse sozialer Übereinkünfte sind, die durch bestehende Machtverhältnisse stabilisiert sind. Die feministische Theologie hat diese Analyse für die Deutung biblischer Texte, kirchengeschichtlicher Rekonstruktionen und für unser Verständnis des christlichen Glaubens in der Gegenwart sehr weit vorangebracht. Und mit dieser Analyse und Kritik geht immer auch das Angebot von Gegenentwürfen einher. Beides zeigt, dass patriarchales Denken und patriarchale Entwürfe von Familie und Gesellschaft keine „natürlichen“ oder gar „gottgegebenen“ Strukturen sind, sondern dass beides immer neu auszuhandeln ist. So kann feministische Theologie beispielsweise darauf aufmerksam machen, dass das auf uns gekommene Familienmodell sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, bedingt durch gesellschaftliche Entwicklungen, entwickelt hat und  mit der Zeit normativ geworden ist.

 

Im Zusammenhang dieser Diskussion verstehe ich auch Ihre Frage nach der Vereinbarkeit von polyamoren Beziehungen mit dem christlichen Glauben. Im Argumentationsduktus der feministischen Theologie ist es folgerichtig, die Normativität von Monogamie bzw. das Ideal der bürgerlichen Familie in Frage zu stellen.  Angesichts unserer derzeitigen Fragestellungen in den Bereichen des familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens wird mit einem „erweiterten Familienbegriff“ argumentiert (vgl. hierzu die vor einigen Tagen erschienen Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland: http://www.ekd.de/download/20130617_familie_als_verlaessliche_gemeinschaft.pdf). Familie wird demnach von ihren Funktionen her verstanden: „Familien sind sinnstiftender Lebensraum und Orte verlässlicher Sorge.“ (ebd. 14).

 

Ihrem Selbstanspruch nach gewährleisten polyamore Beziehungen diese Funktionen, sofern sie  auf Verlässlichkeit, Freiwilligkeit und Langfristigkeit basieren. Da der institutionelle Rückhalt für die Lebensform – im Unterschied zur Ehe – fehlt, haben Kommunikation und „commitment“ für das Bestehen polyamorer Beziehungen konstituierende Funktion.

 

Martin Luther legt das sechste Gebot im Großen Katechismus so aus, dass es die oberste Pflicht eines Christenmenschen sei, Schaden von seinem Nächsten abzuwenden. Ob die jeweilige Lebensform, die Menschen wählen, mit dem christlichen Glauben vereinbar ist, wird jede/r in der konkreten Gestaltung der Beziehung zu entscheiden haben: ob sie geeignet ist, Schaden vom Nächsten abzuwenden und verlässlich füreinander zu sorgen. Dies gilt freilich für die den meisten Menschen selbstverständlich(er) erscheinenden Beziehungsmodelle in gleicher Weise.

 

Herzliche Grüße

Friederike Erichsen-Wendt