"Ruhige Nachbarn"

Gästin und Company

Hallo Frau Bauer-Banzhaf,

gegenüber vom Friedhof soll ein Seniorenwohnheim gebaut werden. Hat das etwas mit der Politik der kurzen Wege zu tun? Ich meine, vom Seniorenheim bis zum Friedhof sind es nur wenige Meter.

Ich persönlich finde dieses Bauvorhaben geschmacklos, vor allem wenn ich dran denke, dass es auch Zimmer mit Blick auf den Friedhof geben wird.

Ist das gesetzlich überhaupt erlaubt?

Hallo Gästin,

 

Ihre Frage ist interessant- nur sehr kurz, deshalb schwer einzuschätzen. Das Thema, das hinter der Frage steckt, ist tatsächlich äußerst spannend.

Ich fange mal am Ende Ihres Briefes an: warum sollte es bitte gesetzlich verboten sein, ein Seniorenheim gegenüber eines Friedhofes zu bauen??? Es gibt ja auch Kindergärten, Schulen oder Einkaufsmärkte  in der Nähe von Friedhöfen. Und Kirchen. So was...

 

In früherer Zeit gab es direkt auf dem Kirchhof die letzten Ruhestätten. Vor allem im Osten Deutschlands finden wir solche Orte noch- und sie sind wunderschön. Das heißt, die Gräber waren mitten im Ort, mitten unter den Lebenden. Genau wie der Tod immer mitten unter uns Lebenden ist. Wir vergessen das nur allzu gerne. Unsere Gesellschaft ist eine ewig junge Spaßtruppe geworden,  in der alles machbar, alles käuflich,  alles bis in alle Ewigkeit lustig ist. Sterben und Tod sind tabu. Meiner Meinung nach ist das völlig falsch, denn Gevatter Tod, Schmerz und Leid gehören zum Leben genauso dazu wie Geburt, Freude, Feiern. Ja, der Tod macht das Leben erst rund!

Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte. Als meine Mutter 75 wurde, gab es ein kleines Fest bei ihr zuhause. Am Abend vorher kamen ihre Kegelschwestern, um den Kranz aufzuhängen, wie es dort auf dem Land noch ein schöner Brauch ist. Den hatten sie am Nachmittag unter Zuhilfenahme diverser Flaschen Sekt in Hochstimmung miteinander gebunden. Ich hatte sie alle sehr lange nicht gesehen, so sagte ich also sinngemäß völlig unbefangen: „Wir haben uns ja bei Georg auf der Beerdigung zum letzten Mal gesehen...“ oder so ähnlich. Da zischte mir eine der Damen ein entsetztes: „Pssssst!!!“ entgegen. „ Wir sind doch auf einem Geburtstag!!! Da spricht man nicht über Beerdigungen...“

 

Ah ja. Ok. Ähm...kleine Zwischenfrage: warum nicht? Es gibt doch keinen besseren Tag für ein paar Gedanken an den Todes- Tag als ein Geburts- Tag.  Ich glaube, wir sind aus dem Licht hierher auf die Erde geboren worden, um zu leben und werden wieder sterben und zurückgehen, dorthin, von wo wir kamen. Unser Tod ist von der ersten Minute an präsent und dürfte für niemanden eine Überraschung sein, oder? Manche Menschen leben kurz, andere lang. Ja, auch das ist normal. Es gibt kein Recht auf ein langes, gesundes, friedliches, perfektes Leben. Wer hat das gesagt, wo steht das? Jede Menge Leute scheinen heutzutage genau das anzunehmen....

Gerade der Gedanke an unsere Endlichkeit lässt doch Dankbarkeit und Freude zu, wenn- ja, wenn der Tod wieder stärker als ein Teil des Lebens wahrgenommen wird. Es ist wunderbar, heute leben zu können, das Leben zu spüren mit allen Sinnen. Wir dürfen heute etwas Sinn- volles mit dem Tag anfangen, denn wir leben jetzt und hier. Ist das nicht schlichtweg großartig? Wären wir unsterblich, könnten wir uns viel weniger freuen, denn alles würde vermutlich entsetzlich langweilig auf die Dauer.

 

Genießen Sie jede Minute, jede Stunde, jeden Tag, liebe Heike. Und freuen Sie sich an Ihrem Sein. Suchen Sie möglichst immer wieder möglichst viele Dinge, für die Sie „danke“ sagen können.  Für`s Aufstehen können, für Strom, Wasser, für die Luft, für ein nettes Lächeln, für einen Spaziergang, für Essen, Trinken, für das Dach über Ihrem Kopf. Alles selbstverständlich? Ich glaube, nein.

Zum Schluss: Auch in einem Pflegeheim wird gelacht, geweint, gelebt. Und der Friedhof daneben kann erinnern: freut euch, ihr seid noch da! Ihr lebt! Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag ist wertvoll. Niemand weiß, wie viel Zeit uns bleibt, also nutzen wir sie, in Gelassenheit und voller Zuversicht. Es gibt kein Ende. Der Tod ist nur ein Übergang zu einem neuen Anfang. Sehen Sie es doch mal so.

 

Beste Grüße

Ihre Heike Bauer- Banzhaf

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