Brauchen wir mehr "Urgemeinde"?

Sam

Hallo,

wundere mich seit einiger Zeit über die Kirchen in Deutschland (gerade zunehmend über die EKD). Ich wundere mich nicht nur über die sogenannte ''Orientierungshilfe'', vielmehr auch über die Zukunft und Ausrichtung der Kirchen. Wenn man Gott wirklich noch ernst nimmt, wieso wendet man sich von Teilen der Bibel ab? Wird Gott überhaupt noch ernst genommen, in der Hinsicht, dass er ein heiliger Gott ist?

Man muss sich doch an die ''Urgemeinde'' zurückerinnern? In welchen Kirchen gibt es noch Wachstum, Gottesbegegnung, Heilungen und Bekehrungen bzw. Attribute der ''Urgemeinde''? Sollte man sich da nicht als Institution hinterfragen wenn solche Dinge ausbleiben?

Mit meinen 18 Jahren mache ich mir da echt Sorgen, vorallem wie es mit der Jugend in Deutschland weitergehen soll, in einer zunehmend individualistischen Gesellschaft mit Hang zur Gottlosigkeit. Kirche funktioniert doch nur wenn auch nach dem Willen Gottes gefragt wird und seine Botschaft verkündet wird bzw. das Reich Gottes vorangetrieben wird. Mfg

Lieber Sam,

 

ich kann gut nachvollziehen, dass Sie sich als gläubiger jugendlicher Christ eine Kirche wünschen, in der sozusagen der Geist der Urgemeinde weht. Was die Bibel in der Apostelgeschichte über die ersten Jahre der Christenheit schreibt, ist ja auch beeindruckend: Alle werden angesteckt vom neuen Glauben, man teilt alles Hab und Gut miteinander, man tauft, was das Zeig hält. Viele sind bereit, für ihren Glauben ins Gefängnis zu gehen oder gar getötet zu werden. Das ist eine Aufbruchstimmung, die man heute durchaus in der Kirche vermissen kann.

 

Dennoch möchte ich Ihnen sagen, dass auch in den allerersten Gemeinden bereits darum heftig gestritten wurde, wie man als Christ die Gesellschaft und die Bibel zu deuten habe. Streitigkeiten, die uns heute merkwürdig vorkommen, hatten damals ganz große Bedeutung und dämpften die Stimmung. Die Briefe des Paulus berichten sehr ausführlich davon.

Man stritt sich darüber, ob jeder, der Christ werden will, vorher Jude sein muss, sich also beschneiden lassen muss (zum Beispiel in Galater 5,1-15). Oder man debattierte über die Frage, ob ein Christ Opferfleisch essen darf. (1. Korinther 12,22-33).

Was ich damit sagen will: Wir Christen haben immer schon über unseren Glauben diskutiert. Und immer wieder sind Entscheidungen getroffen worden, die nicht allen schmecken konnten. Das ist ja auch klar, denn es gab ja immer mindestens zwei Ansichten.

 

Und nun noch dieses: Machen Sie sich nicht allzu große Sorgen über Ihre Generation! Es hat in den zweitausend Jahren, in denen es unsere Kirche nun schon gibt, immer wieder Menschen gegeben, die aufgerüttelt haben, die so vom Heiligen Geist bewegt waren, dass sie andere begeistern konnten. Ich meine gar nicht nur irgendwelche berühmten Leute. Ich rede von all denen, die in der Lage sind, anderen von ihrem Glauben zu erzählen. Da sind Sie selbst gefragt, lieber Sam. Erzählen Sie! Motivieren Sie!

 

Und ganz zum Schluss der Rat des älteren Mannes: Wenn Sie losziehen, um andere von Ihrem Glauben zu begeistern, dann passen Sie gut auf, dass Sie sich immer wieder auf die Streitigkeiten einlassen, denen Sie begegnen werden. Werden Sie nicht hart in ihrem Glauben, sondern machen Sie sich bewusst, dass alle Menschen, denen Sie begegnen, auf ihre eigene Weise glauben. Denken Sie niemals, Sie hätten die Wahrheit gepachtet. Die Wahrheit liegt dort, wo wir uns in Ernst und Liebe miteinander über die Wahrheit streiten.

 

Alle Liebe!

Frank Muchlinsky