Modell des Lebens + Versorgung Verstorbener

Gästin

Hallo Herr Pastor, ich arbeite seit kurzem als Pflegekraft in einer kirchlichen Stiftung. Dort wird nach dem Pflegemodell noch Thierney, Roper and Logan gearbeitet. Der Mensch wird im Modell des Lebens in verschiedene Aktivitäten "zerteilt". Zu den zwölf Lebensaktivitäten gehören: Für eine sichere Umgebung sorgen Kommunizieren Atmen Essen und Trinken Ausscheiden Sich sauber halten und kleiden Regulieren der Körpertemperatur Sich bewegen Arbeiten und Spielen Sich als Mann und Frau fühlen und verhalten Schlafen + Sterben Verdutzt war ich, als ein Pflegebedürftiger eines schönen Morgens verstorben war, denn ich sollte diesen genauso pflegen, als ob er noch leben würde. Also: Waschen des Gesichts inclusive der Schliessung der Augen. Sanfte Teil- oder Ganzwaschung mit warmen Wasser und Seife. Dann mit Öl oder Körperlotion eincremen. Körperöffnungen mit saugfähigen Unterlagen versorgen, Verbände erneuern, Kleidung anziehen, den Mund mit Hilfe eines klein gerollten Handtuchs unter dem Kinn schliessen. Zuvor noch die geputzte Zahnprothese einsetzen. Haare waschen, föhnen, kämmen, Schmuck entfernen, Männer rasieren.... Vor diesen Pflegemaßnahmen sollte ich noch die gesamten Lagerungshilfsmittel aus dem Bett nehmen. Das geht nur, wenn der Verstorbene öfters hin und hergedreht wird. Dann soll die (gewünschte?) Kleidung angezogen werden. Doch zuvor muss alles Medizinische wie Sonden, Katheter, Pumpen mit Ausnahme von Stomabeuteln, entfernt werden. Die Schläuche also nicht einfach kappen, sondern profimäßig abstöpseln. In die Hände des Verstorbenen soll dann ein wichtiger Gegenstand oder ein Kreuz gelegt werden und dann soll man diesen mit einem frischen Leintuch bis zur Brust zudecken und so weiter und so fort. Auf der Wohnetage soll dann nach Absprache mit dem Beerdigungsinstitut und den Angehörigen der Sarg offen aufgebahrt werden, in ovaler Form sollen dann die Stühle für die eingeladenen Bewohner aufgestellt werden. Die Verabschiedung des Verstorbenen beginnt dann mit der Begrüßung. Dann folgen persönliche Worte über den Verstorbenen, dann Gebet + Gesang usw... Ich stand da wie versteinert, denn ich bin Pflegekraft für die Lebenden aber nicht für die Toten und ich bin auch kein Bestatter. Meine Frage: Kann man "Sterben" als "Lebensaktivität" bezeichnen? Welche Auffassung vertreten die Kirchen? Ich persönlich bin perplex!

Liebe "Gästin",

 

Sie berichten aus einer anspruchsvollen und fordernden Tätigkeit. Ihrem Text entnehme ich zwei Fragen, die ich getrennt beantworten möchte, nämlich zum einen die Frage, ob Sie dafür zuständig sind, einen verstorbenen Menschen zu "pflegen", zum anderen die Frage, in welcher Weise Sterben so zum Leben gehört, dass wir (als Lebende) an einem Verstorbenen handeln dürfen oder sollen.

 

Die erste Frage betrifft die Dienstanweisung Ihres Arbeitsplatzes. Mit Hilfe eines Phasenmodells umschreibt Ihr Arbeitgeber Qualitätsstandards, um eine Verlässlichkeit in der Pflege in seiner Einrichtung zu gewährleisten. Aus meiner Arbeit als Pfarrerin weiß ich, dass es in vielen Einrichtungen üblich ist, die Verstorbenen zu einer christlichen Aussegnung im Hause zu belassen, auch, um Angehörigen und nicht zuletzt auch anderen BewohnerInnen der Einrichtungen diesen Abschied im Angesicht des toten Menschen zu ermöglichen. Wie dies allerdings im Einzelnen organisiert wird und wer dafür zuständig ist, bedarf der Absprache vor Ort. Dass es dafür aber Regelungen geben muss, die Menschen, für die das neu ist und die unvorbereitet mit solchen Aufgaben betraut werden, überfordern und/ oder nachdenklich machen, leuchtet aus meiner Sicht sehr ein. Denn dies hilft sehr, in einer Ausnahmesituation kompetent handlungsfähig zu bleiben, die Würde des verstorbenen Menschen zu wahren und den Angehörigen Sicherheit zu geben. Und ob dann speziell geschulte Pflegekräfte diese Aufgaben übernehmen, oder bereits Mitarbeitende einer Pietät, ist letztlich eine Frage von abzusprechenden Zuständigkeiten und der Möglichkeiten vor Ort.

 

Die zweite Frage betrifft die "Übergangsphase" von Leben und Tod, die wir als Sterben bezeichnen. Ich kann Ihnen dazu nicht schreiben, was "die Kirchen" meinen, wohl aber, was sich mir in meiner Arbeit als Pfarrerin vor dem Hintergrund des evangelischen Menschenbildes dazu erschlossen hat. Sterben als "Lebensaktivität" zu bezeichnen, mag vielleicht etwas merkwürdig klingen, trifft es aber ganz gut. Es ist die letzte Lebensphase, in der Menschen fähig sind, Eindrücke Ihrer Umwelt zu verarbeiten und auf sie zu reagieren. Ihre Frage weist sehr genau auf die Unschärfe hin, die sich angesichts der Begegnung mit einem toten Menschen ergibt: Sie schreiben, er sollte behandelt werden, "als ob er noch leben würde". Was Sie dann aber schildern, sind ja durchaus auch andere Handlungen. "Als ob er lebte", bezieht sich also nicht auf das, was Sie tun (sollen), sondern auf Ihre Haltung. Dies weist darauf hin, dass wir im toten Menschen etwas von seiner Lebendigkeit sehen. Von einem toten Menschen geht eine Atmosphäre aus, die mit seiner Identität zusammenhängt. Und dies, obwohl es "eigentlich" keine Interaktionsmöglichkeiten zwischen ihm und uns Lebenden gibt. In dieser Situation als professionelle Pflegekraft angemessen handlungsfähig zu bleiben, ist eine große Herausforderung, aber auch eine besondere Gabe.

 

Dafür wünsche ich Ihnen die richtige Unterstützung und Vertrauen in die Gegenwärtigkeit Gottes über das Leben hinaus.

 

Es grüßt Sie herzlich

Ihre Friederike Erichsen-Wendt, Pfrin.