Warum so ökumenisch zum Reformationsjubiläum?

Joachim Urmelt

Lieber Herr Muchlinsky,

das Lutherjubiläum wirft seine Schatten voraus und ich als gläubiger Protestant bin sehr beunruhigt über diverse Äußerungen unserer Kirchenoberen über die Ökumene. Es drängt sich mir der Eindruck auf, daß gerade im Lutherjahr seitens unserer Kirchenleitung zwanghaft versucht wird, die Unterschiede zur Katholischen Kirche irgendwie zu nivellieren. Woher nehmen in unserer demokratischen Kirche (auch darin unterscheiden wir uns!) unsere Kirchenoberen die Legitimation, sich der Katholischen Kirche in irgendwelchen Punkten anzunähern und faktisch vorhandene Unterschiede, die ihren guten Grund haben und z.T. auch aus der Reformation herrühren, klein zu reden? Ich habe den Eindruck, daß wichtige Errungenschaften, wie die Frauenordination, keine Bedeutung mehr zu haben scheinen. Das macht mich sehr traurig. Hat Martin Luther umsonst gelebt?

Gerade als ehemals Katholischer Christ bin ich aus Überzeugung protestantisch geworden, weil in der Katholischen Kirche für mich so viele Dinge falsch gesehen und falsch gemacht werden. Um es klar zu stellen: Ich habe nichts gegen ökumenische Aktivitäten auf der Gemeindeebene. Man kann diverse Dinge zum Wohle der Menschen gemeinsam gestalten, aber die prinzipiellen Unterschiede haben ihren guten Grund und sollten nicht "verwässert" werden. Ich frage mich seit einiger Zeit, ob ich in der Evangelischen Kirche noch meine Heimat habe. Ich bin nicht evangelisch, um irgendwann plötzlich wieder katholisch zu sein! Ich überlege ernsthaft, ob mir nichts anderes mehr übrig bleibt, als aus der Evangelischen Kirche auszutreten, wenn dieser Prozeß so fortgesetzt wird. Ich habe langsam den Eindruck, daß hier Verrat an den Ideen und Grundsätzen der Reformation begangen wird und das ist definitiv mit mir nicht zu machen. Nach Diskussionen mit anderen Protestanten habe ich den Eindruck, daß ich mit meiner Sichtweise nicht allein stehe.

Lieber Herr Urmelt,

Ich kann verstehen, dass Sie enttäuscht sind. Sie haben sicherlich aus guten Gründen Ihre Konfession gewechselt. Für Sie sind dementsprechend die Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche im wahrsten Sinne des Wortes lebensentscheidend. Ich muss zugeben, dass ich mich auch in den letzten Tagen zunehmend darüber ärgere, dass die Errungenschaften, die mit der Reformation einhergingen, so wenig betont werden, und wenn anstelle eines Jubiläums von einem "Reformationsgedenken" die Rede ist, wird mir sehr unwohl. Gedenken tut man in der Regel Opfern schlimmer Ereignisse. Nun hat die Trennung der Kirche in der Tat sehr viele Opfer hervorgebracht. Die Konfessionen haben einander jahrhundertelang bekriegt. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich verständlich, dass die beiden Kirchen es in diesem Jubiläumsjahr vermeiden möchten, das Trennende zu betonen.

Allerdings stimme ich Ihnen vollkommen zu, dass wir auf der Gemeindeebene mittlerweile ohnehin einen vernünftigen Umgang miteinander pflegen. Die in diesen Tagen immer wieder geforderte "Versöhnung" wäre meines Erachtens nur nötig, wenn man einander weiterhin feindselig gegenüberstünde. Wenn gar davon die Rede ist, der Leib Christi selbst leide unter der Spaltung, so werde ich – ähnlich wie Sie – ärgerlich, denn dahinter lauert der Wunsch nach einer "Heilung", die wir meines Erachtens nicht nötig haben. Dadurch, dass wir mehrere Kirchen haben, können wir einander auch immer wieder mahnen. Das, was der Papst derzeit an Luther so lobt, dass er die Christenheit auf die Heilige Schrift zurückgebunden hat, wäre auf Dauer doch unbedeutend geblieben, wenn der römischen Kirche nicht ein Gegenüber entstanden wäre. Das katholischerseits so beklagte Ungemacht für Ehepaare verschiedener Konfessionen stellt ausschließlich für die katholischen Partner ein Problem dar. Dadurch, dass es eine Alternative zur römisch-katholischen Kirche gibt, gibt es auch stets Anfragen gegen die Missstände innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Das gilt durchaus auch umgekehrt.

Es gibt genügend Dinge, die die Konfessionen trenne, und die es wert sind, gerade auch im Jubiläumsjahr der Reformation benannt zu werden. Ich kann allerdings – das sei noch einmal in aller Deutlichkeit betont – gut nachvollziehen, dass dieses Jahr damit begonnen hat, die Gemeinsamkeiten und den Wunsch nach einem miteinander zu betonen. Wir haben jetzt ein Jahr lang Zeit, uns auf die Errungenschaften der Reformation zu besinnen. Das wird vielleicht nicht auf der obersten Leitungsebene geschehen, aber doch in einem vielstimmigen Chor. So ist es schließlich auch gute Tradition in der evangelischen Kirche.

Mit herzlichem Gruß

Ihr Frank Muchlinsky

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