Ich leide unter meinen Trieben

Robert

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

Ich habe heute einen großen Fehler begangen und fühle mich sehr schuldig. Ich habe mich seit ein paar Monaten vermehrt mit Glauben beschäftigt, vor allem weil mich ein Freund im Dezember letzten Jahres zur Gemeinde bewegt hat. Ich entschied mich nach mehreren Unterhaltungen dazu, auch an Gott zu Glauben und mit Gott die Freude zu finden, doch zweifelte ich stark daran, ob ich überhaupt Anspruch auf Gott hatte, weil ich an bisexuellen Gedanken leide. Doch ich wollte Gewissheit und informierte mich über den Standpunkt von solchen Gedanken im evangelischen Glauben und fand heraus, dass schwule Gedanken ebenso nicht von Gott gewollt sind. Trotzdem wollte ich den Kontakt mit Gott und betete um eine Heilung und Unterstützung, doch die Annahme der Vergebung fiel mir besonders schwer. Als ich es meinem Freund von meiner Sünde beichtete und wir daraufhin zusammen beteten, verschwanden die Gedanken spürbar und ich fühlte mich besser. Ich fuhr mit regelmäßigem Beten fort und verspürte immer mehr und mehr eine Veränderung und die Schwächung dieser Triebe. Doch gestern war ich mit meinem Freund aus der Gemeinde und zwei weiteren Gläubigen zum Übernachten verabredet. Wir sprachen die ganze Nacht lang über dem Glauben und der persönlichen Bedeutung von Gott, vor allem auch über persönliche Schwierigkeiten im Umgang mit dem Glauben. Bei diesen Themen fühlte ich mich unwohl, da ich über die meisten Schwierigkeiten kaum nachgedacht habe und diese selber nicht empfand. Am Ende beteten wir alle zusammen und wir führten eine Art Gottbekenntnis für mich aus, da ich mir mit meinem Weg mit Gott sicher bin. An diesem Augenblick verschwand auch mein unwohles Gefühl und ich fühlte eher Dankbarkeit, die Liebe und Kraft Gottes.

Während die anderen schliefen merkte ich, dass mein Kumpel aus der Gemeinde auch nicht eingeschlafen ist, worauf ich dann mit ihm leise gesprochen habe. Aufgrund des Glaubensbekenntnisses fühlte ich mich sehr angenommen und sah es auch als eine Art Bestätigung für meinen Weg, weswegen ich ihm danken wollte. Ohne zu überlegen nahm ich in in den Arm, was er auch halb erwiderte, und sprach ihm meinen Dank aus, da ich ohne ihn so eine Veränderung niemals durchleben konnte und ich sagte ihm, dass er mir viel bedeutet und mir ebenso der beste Freund war, den ich jemals hatte. Ich glaube in dem Moment verspürte ich freundschaftliche Liebe zu ihm, was ich ich auch sagte. Er sagte daraufhin, dass das auch Gottes Werk ist und ich auch Gott danken kann und ihn lieben kann. Nach einem Gute Nacht, legten wir uns wieder in den getrennten Betten hin. Ich überlegte noch über das, was er gesagt hatte, wobei mir das Gefühl überkam, bei ihm Liebe und Anerkennung gesucht zu haben und möglicherweise auch meine Triebe von früher verfolgt zu haben. Ich schämte mich für mein Handeln und dafür, dass ich meinen Trieben möglicherweise freien Lauf ließ ohne Berücksichtigung der Sünde. Ich dachte vor der Aktion mit der Umarmung nicht an die Sünde, sondern eher an meine Gefühle, die möglicherweise auch durch meine Triebe zum Ausdruck kamen.
ich fühle mich schuldig, da ich meinen Freund mit meinen wohl noch bestehenden Trieben konfrontierte und meinen Gedanken freien Lauf ließ. Auf dem Ende jeder Sünde liegt die Zerstörung, auch wenn die Sünde einem als wohltuend und positiv erscheint. Ich wollte nicht meinen Freund mit solch einer Sünde konfrontieren und ihm damt möglicherweise schaden. Ich will ihm nicht schaden oder ihm beim Zugang zu Gott im Weg stehen. Mir bereitet es Angst, dass solche unüberlegten Aktionen von mir zur Trennung mit meinem Kumpel führen, da er mir sehr wichtig ist. Ich liebe ihn nicht mehr als Gott schätze ich, aber trotzdem würde er mir als Freund sehr fehlen. Ich weiß nicht, ob ich damit emotional abhängig von ihm bin, was ich aber auch nicht sein möchte. Und nun zu meinen Fragen: Wie kann ich meine Sünde endgültig loswerden und vollkommen für Gott und meine Mitmenschen offen sein? Hab ich nur nicht genug Gewissheit im Glauben? Ich kann für die Aktion kaum Vergebung empfangen, da es mich innerlich so quält und ich die Angst nicht loswerde, meinen Freund mit dem Kontakt zu mir zu schaden. Ich bin davon überzeugt, dass Gott Homosexualität nicht vorgesehen hat und ich verstehe auch die Sünde dahinter und möchte sie nicht mehr in meinem Inneren haben. Ich werde weiterhin bei Gott um Vergebung und um Heilung beten, aber im jetzigen Moment konnte ich das Gefühl kaum aushalten. Ich hoffe, sie können mir weiterhelfen.

mit freundlichen Grüßen

Lieber Robert,

es tut mir von Herzen Leid, dass Sie so leiden. Ich kann mir vorstellen, dass es schrecklich ist, wenn man zwei so starke Gefühle in sich hat, die miteinander ringen: Einerseits Ihr Wunsch nach besonderer Nähe zu Ihrem Freund und andererseits Ihr Wunsch nach besonderer Nähe zu Gott. Man hat Ihnen beigebracht, dass diese beiden Wünsche nicht miteinander vereinbar sind. Sie selbst sagen, dass Homosexualität Ihrer Überzeugung nach eine Sünde ist, eine Krankheit sogar, die man heilen muss, damit sie nicht zwischen Ihnen und Gott steht. Sie beschreiben Ihren Wunsch nach körperlicher Nähe als "Trieb", den Sie bekämpfen möchten, es aber nicht können. Darum stellen Sie jede Nähe, die Sie mit Ihrem Freund erfahren haben, unter den Verdacht, etwas Falsches getan zu haben.

Ich muss gestehen, dass ich Ihnen innerhalb dieser Gedankenwelt, die Sie schildern, nicht helfen kann. Wenn Sie der festen Überzeugung sind, dass eine Nähe zu Gott eine lustvolle Nähe zu einem anderen Mann nicht zulässt, dann bleibt Ihnen nur, sich diesen Wunsch nach Intimität so lange zu verweigern, bis es Ihnen weniger ausmacht, darauf zu verzichten, Ihrer Sehnsucht nachzugeben. Sie würden im Grunde genommen einen ähnlichen Weg gehen wie ein Mönch oder ein Priester, der sich Gott so hingeben will, dass er die Ausübung seiner Sexualität nicht zulässt.

Nun glaube ich allerdings – wie Sie leicht sehen können, wenn Sie schauen, wie ich Fragen zum Thema Sexualität hier beantworte – sehr fest daran, dass sich unser Gott vor allem dafür interessiert, dass wir einander lieben, und nicht in erster Linie dafür, mit wem wir Sex haben. Wie gesagt, ich habe durchaus gelesen, dass Sie überzeugt davon sind, dass Homosexualität eine Sünde ist. Aber mein Glaube sagt etwas anderes. Gott hat unsere Welt so geschaffen, wie sie nun einmal ist – bunt und unendlich vielfältig. Ebenso ist der Mensch, in all seiner Vielfalt ein Geschöpf Gottes. Darüber hinaus sind wir aber auch Ebenbilder Gottes. Gott hat uns geschaffen als kreative Wesen. Darum haben wir einen Auftrag, nämlich verantwortlich mit unserem Leben umzugehen.

Ja, ich weiß, dass es in der Bibel Stellen gibt, an denen steht, dass ein Mann nicht mit einem anderen Mann Sex haben soll. Aber unsere Verantwortung und unsere Liebe müssen das wichtigere Argument sein. Jesus Christus selbst stellt die Liebe über alles andere, wenn er sagt: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mt 22,37-39). Niemand soll an der Liebe zu Gott und an der Liebe zu einem Mitmenschen leiden müssen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass sich Gott über die Liebe der Menschen freut und zwar sowohl an der zwischen Menschen unterschiedlichen als auch an der gleichen Geschlechts. Jesus Christus hat uns das Beispiel gegeben für eine Liebe, die überhaupt keine Unterschiede macht. Wieso wollen wir die zwei winzigen Bibelstellen, die Homosexualität verurteilen, größer bewerten als die gesamte Botschaft Jesu? Wer gibt uns das Recht dazu, Liebe zwischen zwei Männern zu verurteilen, wenn wir gleichzeitig Dutzende von Vorschriften, die die Bibel uns gibt, als nicht bindend begreifen?

Sie sagen, dass Sie glücklich sind, dass Sie sich zu Gott bekennen können. Ich sage: Wunderbar! Ich kenne viele Menschen, die Gottes Nähe so wie Sie suchen und gefunden haben. Unter ihnen sind auch viele Männer, die Männer und Frauen, die Frauen lieben. Alle von ihnen meinen es sehr ernst mit ihrem Glauben. Er gibt ihnen Halt und Sinn für ihr Leben. Niemand soll kommen und ihnen sagen, sie hätten kein Recht darauf, Gott nah zu sein.

Es tut mir weh, Ihnen das auf diese Weise zu schreiben, denn ich ahne, dass Ihnen die christliche Gemeinschaft, in der Sie gerade sind, ansonsten gut tut. Es gibt eine Christliche Arbeitsgruppe, die sich mit Geschichten wie Ihrer gut auskennt. Sie heißt "Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche" (HuK). Dort – da bin ich mir sicher – hat man ein offenes Ohr für Sie. Die E-Mail-Adresse lautet beratung@huk.org. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihrem Wunsch nach Nähe zu Gott und zu anderen Menschen entsprechen können.

Alles Gute wünscht

Frank Muchlinsky

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