Kirchenfrust oder Wozu überhaupt Kirche?

Sandra

Sehr geehrter Herr Muchlinsky, was erwartet "Kirche" als Institution eigentlich von sich selber und den Gläubigen? Was ist das Ziel bzw. sind die Ziele? Ich gebe zu, dass ich einfach das Gefühl habe, als fühlendes menschliches Wesen mit Bedürfnissen innerhalb der Kirche gar nicht wahrgenommen zu werden und ich frage mich, ob es für mich Sinn macht, weiter Teil dieser Institution zu bleiben. Nachdem ich jahrzehntelang (u.a vom Religionsunterricht nicht bekehrt sondern in die Flucht geschlagen) mit Gott, Glaube und Evangelium so gar nichts anfangen konnte, lernte ich während eines Krankenhausaufenthalts eine Frau kennen, die immer sagte: "Gott gibt mir die Kraft, die ich brauche; sei es die Kraft zum Leben oder, wenn es so weit ist, auch die zum Sterben." Die Freude und Gelassenheit, die diese Frau ausstrahlte, waren der entscheidende Impuls, Gott doch mal näher kennen lernen zu wollen. Leider kam diese Erkenntnis erst, als ich wieder zu Hause war und den Kontakt zu dieser Dame verloren hatte. So wollte ich also Kontakt zu Gott und hatte keine Ahnung wie. Ich las das neue Testament und hatte mehr Fragen als vorher. Ich betete das Vaterunser, ich probierte eigene Gebete, doch fühlte mich dabei eher als würde ich Selbstgespräche führen oder mit meinen Grünpflanzen sprechen. Nach einigen Gottesdienstbesuchen bat ich unseren Pfarrer um einen Termin in der Hoffnung, dass er mir in der Sache "Freundschaft mit Gott" weiterhelfen könne. Aus einem Termin wurden fünf oder sechs, in denen ich Fragen zum Wesen Gottes und zu für mich unverständlichen Bibelstellen des neuen Testaments stellte, als ich gesagt bekam: "Mit Ihnen red ich nicht mehr über Theologie, das bringt eh nichts!" Aha, Pfarrer sind also nicht dazu da Glaubensneulingen etwas beizubringen. Blick in den Gemeindebrief: Stimmt, die Konfirmanden schreiben auch nur darüber, wie viel "Spaß" die "konficamps" gemacht haben und wie toll dass Tanzen und der Sport gemacht haben. Der Spaß sei ihnen von Herzen gegönnt, zu meiner Konfirmandenzeit wurde darauf kein Wert gelegt, aber Gott scheinen die in dieser Zeit auch nicht kennen zu lernen. Jedenfalls lese ich davon nichts... Ich ging in verschiedene Gruppen unserer Gemeinde in der Hoffnung, dort auf Menschen zu treffen, von denen ich wie von meinen Vorbild aus dem Krankenhaus lernen könnte, Glaube inspiriert zu leben. Zu meinem Erstaunen spielte Gott nur im Hintergrund eine Rolle, ER kam in Form der Tageslosung am Beginn der Treffen vor und als Liedtext aus dem EG, und schien ansonsten eher zu stören. Zumindest wurde auf meine Fragen, wie Jesus das Thema wohl sehen würde und welchen Rat ER uns in Bezug dazu auf unser Alltagsverhalten vermutlich geben würde genervt aufgestöhnt. Also fragte ich irgendwann nur noch auf weltlicher Ebene statt auf spiritueller. Hm, also Kirchengemeinden scheinen auch nicht der Ort für Fragen und Erleben rund um Gott zu sein.Dennoch waren die Leute nett und und so blieb ich Irgendwann sprach ich mit zwei Freundinnen darüber, wie wir miteinander Glaube praxisbezogen kommunizieren und in unser Leben mitnehmen können. Mein Vorschlag war, uns morgens unsere Gedanken zur Tageslosung zu schreiben und schauen, ob wir diesen Gedanken über Tag halten und ggf aktiv umsetzten können. Abends wollten wir uns austauschen, wo Hürden aufgetaucht sind, wo wir unseren Vorsatz schlicht vergessen haben etc. Alle zwei Wochen wollten wir uns persönlich treffen. Die Idee stieß nicht nur bei meinen Freundinnen auf Begeisterung, auch andere, die davon erfuhren wollten mitmachen. Dummerweise war über private Mails nicht zu händeln. "Frag doch mal den Pfarrer, ob es möglich ist, ein Forum an die Website der Kirchengemeinde anzuschließen, da könnte dann jeder der Lust hat mitmachen und auch zu den Treffen kommen. Wir könnten die vielleicht ins Gemeindehaus legen?" Ich lies mir einen Termin mit unserem Pfarrer geben. Der lies mich reden und auf die Frage, was er davon hielte, sah er auf seine Armbanduhr und erwiderte: "Ihre Zeit ist um. Ich muss auch leider weg..." Ich habe nie eine Reaktion auf mein Ansinnen bekommen. Kirche ist also auch nicht für Vorschläge bezüglich gemeinsamen Glaubenslebens da. Einige Jahre sind vergangen, in denen ich trotzdem in der Gemeinde blieb und bei Gemeindefeiern half oder mit anderen Ehrenamtlichen die Kirche putzte. Nun steht fest, dass Kirche und Gemeindehaus abgerissen werden. Die Frauen und Männer, die dort -zig Jahre ehrenamtlich aktiv waren um über Basare und Feste Geld für Möbel, Schränke und Renovierungen zu erwirtschaften, die vieles selber instand gehalten und aufgebaut haben, bekommen nun überaus empathisch und nächstenliebend an den Kopf geknallt: Sind doch nur Steine. Außerdem waren in der Bibel auch alle immer unterwegs und mussten alles hinter sich lassen. Tja, dumm nur, dass wir nicht als Nomaden geboren sind. Eine Vision, etwas, dass selbst unseren Alten Zuversicht auf etwas Anderes, Neues, Schönes geben würde und an dem auch sie Teilhaben sollen gibt es auch nicht. Nicht mal einen Fahrdienst zur verblieben zentralen Kirche wird es geben und das, obwohl sonntags keine Busse fahren. Also ist Kirche auch nicht da, um den alt gewordenen Menschen Teilnahme an Gottesdiensten zu ermöglichen, sie ist nicht da, um jahrzehnte ehrenamtlicher Arbeit zu schätzen, sie ist nicht da, Abschiedsprozesse menschlich empathisch zu begleiten (ja, auch der Abschied von fast familiär geführten Gemeinschaftsgebäuden kann sehr, sehr weh tun!!!). Es gibt bei uns sehr viele kirchliche Angebote für Kinder und Jugendliche, die von unseren Pfarrern/Pfarrerinnen geführt werden. Keiner der Hauptamtlichen führt eine Gruppe für Erwachsene, weder Bibelarbeit noch Meditationen o.ä. Aktive Kirche ist also für Kinder und Jugendliche gedacht, alle anderen um passiv kirchliche Mitarbeiter zu finanzieren. Wozu also ist also die Institution "Kirche" da? Wozu sollten gläubige Christen noch mitmachen? Ist es am Ende nicht sinnvoller, sich mit wenigen Gleichgesinnten Ziele zu stecken und diese anzugehen statt die Energie in eine "Konzernkirche" fließen zu lassen? Ich wüsste im Moment echt nicht, wo und warum ich mich für die evangelische Kirche noch mal engagieren sollte. Wüssten Sie es aus meiner Perspektive, "von unten", heraus?

Liebe Schreibende,

Danke für das Mitteilen all Ihrer Erlebniss und Gefühle. "Kirche" das sind oft auch nur Menschen - und Menschen können enttäuschen. Auch wir Pfarrerinnen und Pfarrer. Dennoch bin ich der Institution Kirche dankbar, dass sie das Evangelium von Jesus Christus durch die ganzen Jahrhunderte transportiert hat.

Mir persönlich ist immer wichtig, dass Kirche mehr ist als die Institution. "Kirche" sind auch nicht nur "die da oben", die PfarrerInnen, die Kirchenleitung... sondern Kirche, das ist ein WIR - Du und ich, wir alle sind Kirche. Die Frau im Krankenhaus, die sie so beeindruckt hat, sie ist Kirche. Sie, die hier Schreibende, Sie sind Kirche!

- Und gemeinsam können wir die Institution Kirche so gestalten, dass das Evangelium von Jesus Christus in ihr gelebt wird.

Hans-Joachim Eckstein hat einmal den schönen Satz gesagt: "Es gibt Menschen, die erscheinen uns wie Edelsteine. Sie reflektieren das empfangene Licht so farbenfroh und strahlend, dass wir uns nach der Lichtquelle umschauen."

Genau so ein Mensch, war diese Frau im Krankenhaus. Und dass wir in der Institution genau solche Menschen sind - dafür bete ich.

Und dazu braucht es uns alle.

Schön, wenn Sie dabei sind!

Herzlich, Ihre

Sabine Löw