Sehr geehrter Herr Pfarrer Muchlinsky,
ich schreibe Sie an, da ich um Ihre Meinung/ Ihren Rat christlichen Angelegenheiten bitten möchte. Ich habe seit langer Zeit "Probleme" mit der Rechtfertigungslehre, dass man "allein durch den Glauben" an Jesus Christus von Gott angenommen wird. Ja, dass Gott mich als sein geliebtes Kind aufnimmt, "nur" weil ich an die Auferstehung Jesu Christi glaube, bzw. glaube, dass er für meine Sünde gestorben ist. Ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt (mit Gewissheit) als Christ bezeichnen kann.
Oft heißt es, dass man OHNE BEDINGUNG von Gott angenommen wird, allein durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus. Am Ende der E-Mail habe ich einige Aussagen der Bibel (aus der Gute-Nachricht Bibel) genannt, die mir diese Auffassung schwer machen. Ist es eventuell doch nicht "so einfach", mit Gott/Jesus verbunden zu sein? Immerhin stellte (oder stellt noch immer?) gewisse "Bedingungen" an seine Nachfolger. Ja selbst wenn Jesus gewisse Bedingungen nur an einzelne Personen gerichtet haben sollte, so sind doch einige allgemein (an alle?) gefasst. Wie z. B. die (sinngemäße) Aussage, dass NIEMAND sein Jünger sein kann, der nicht alles verkauft, was er hat.
Wenn ich ehrlich bin, erfülle ich so gut wie keine dieser Bedingungen.
Beispiele: Ich nehme nicht Tag für Tag mein Kreuz auf mich (entweder aus Angst, aus Bequemlichkeit etc.).
Oft bekenne ich mich nicht zum Glauben, da es mir peinlich ist oder weil ich Angst vor Reaktionen habe.
Ich liebe wohl meine Mutter mehr als Jesus. Ich könnte nicht von "jetzt auf gleich" sagen, dass ich sie verlasse. (Auch kann ich nicht sagen, dass ich Jesus mehr liebe.)
Auch schaffe es ich nicht (würde es nicht schaffen) ALLES (!) zu verkaufen.
Ich würde es wohl nicht wagen, mein LEBEN für das Bekenntnis des christlichen Glaubens zu opfern. (Angenommen ich würde in einem radikalen muslimischen Land wohnen.)
Und...und...und.
Teilweise würde ich gerne eine andere Einstellung haben wollen. Teilweise weiß ich nicht, ob ich mir überhaupt wünsche, eine andere Einstellung zu haben.
Wie kann ich mir überhaupt sicher sein, von Jesus geliebt zu werden? Ich erfülle dies (so gut wie) alles nicht.
IN einem Buch von Joyce Meyer heißt es u. a. "Gott liebt mich BEDINGUNGSLOS." Kann man das (aufgrund der Aussagen Jesu) überhaupt glauben....dass Gott mich bedingungslos liebt? Wie kann ich mich NACHFOLGER Jesu nennen, wenn ich es doch (nach Jesu Aussage) überhaupt nicht "wert bin" sein Jünger zu sein (so oder so ähnlich von Jesus ausgedrückt)?
Vielleicht können Sie mir einen Rat / Ihre Meinung schreiben. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Nachfolgend einige Aussagen aus der Bibel, die u. a. Grund meiner Überlegungen sind.
Freundliche Grüße
K.B.
Lukas 8, 18
Denn wer viel hat, dem wird noch mehr gegeben werden, und wer wenig hat, dem wird auch noch das Wenige genommen werden, das er zu haben meint.
Lukas 9, 23 Dann wandte sich Jesus an alle und sagte "Wer mir folgen will, muss sich und seine Wünsche aufgeben, muss Tag für Tag sein Kreuz auf sich nehmen und auf meinem Weg hinter mir hergehen.
Lukas 9, 26-
Wenn jemand nicht den Mut hat, sich zu mir und meiner Botschaft zu bekennen, dann wird der Menschensohn keinen Mut haben, sich zu ihm zu bekennen, wenn er in seiner Herrlichkeit kommt und in der Herrlichkeit des Vaters und der heiligen Engel.
Lukas 9, 57-61
(Wird in der "Gute Nachricht – Bibel" mit Jüngerschaft ohne Wenn und Aber" überschrieben
Unterwegs sagte jemand zu Jesus: " Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!" Jesus antwortete ihm: " Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann."
Zu einem anderen sagte Jesus: " Komm, und folge mir!" Er aber antwortete: "Herr, erlaube mir , dass ich erst noch hingehe und meinen Vater begrabe." Jesus sagte ihm "Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben! Du aber geh hin und verkünde, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichten will!"
Ein anderer sagte: "Herr ich will ja gerne mit dir gehen, aber lass mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen!" Jesus sagte zu ihm: "Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will".
Lukas 13, 23-24
Einmal fragte ihn jemand: "Herr, werden nur wenige gerettet?" Jesus antwortete: "Die Tür zu Gottes neuer Welt ist eng; kämpft darum, dass ihr Einlass findet! Den viele, sage ich euch, werden sich am Ende darum bemühen, aber es nicht mehr schaffen!
Lukas 13,26
Dann werdet ihr sagen: `Wir haben doch mit dir zusammen gesessen und getrunken und du hast auf den Straßen unserer Stadt gelehrt." Ihr habt es allesamt versäumt, das Rechte zu tun, geht mir aus den Augen!`
Lukas 14,25
Als Jesus wieder unterwegs war, zog eine große Menge Menschen hinter ihm her. Er wandte sich nach ihnen um und sagte: "Wer sich mir anschließen will, muss bereit sein, mit Vater und Mutter zu brechen, ebenso mit Frau und Kindern, mit Brüdern und Schwestern; er muss bereits ein, sogar das eigene Leben aufzugeben. Sonst kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir auf meinem Weg folgt, kann nicht mein Jünger sein.
Lukas 18, 18-27
Als Jesus das hört, sagte er zu ihm "Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, und verteil das Geld an die Armen, so wirst du bei Gott einen unverlierbaren Besitz haben. Und dann komm und folge mir nach!"
Lieber Herr B.,
Ich kann Ihre Bedenken und Ihre Ratlosigkeit gut nachvollziehen. Es ist ausgesprochen schwer, sich vorzustellen, dass jemand – und sei es Gott selbst – wirklich keinerlei Bedingungen für etwas Gutes stellen sollte. Mir wird durch Ihre Frage sehr deutlich, dass die Rechtfertigung aus Glauben allein gerade nicht einfach ist. Angenommen sein von Gott bedeutet eben nicht "nur weil ich glaube", sondern "weil ich das tatsächlich glauben kann". Das fällt nicht nur Ihnen, lieber Herr Bock, schwer, da bin ich mir sicher.
Wir lernen, dass wir das uns das, was wir bekommen, auch verdienen müssen. Das ist ein Teil unseres Erwachsenwerdens. Das gilt nicht nur für unser Berufsleben, auch wenn es da besonders deutlich wird: Ich arbeite und verdiene mir das Geld, von dem ich dann leben kann. Wer arbeitslos ist, hat oft das Gefühl, dass damit auch sein "Wert" sinkt. Man bekommt Geld, dass man sich nicht erarbeitet hat, das man also nicht verdient. Unsere Gesellschaft denkt in verdient und unverdient. Flüchtlinge haben unsere Hilfe nicht verdient, weil sie dafür nichts geleistet haben. Darum meinen Einige, sie sollten auch keine Hilfe bekommen. Man kann sich nahezu alles "verdienen". Überlegen Sie mal, was für Aussagen es mit diesem Wort in unserer Sprache gibt: "Du verdienst mein Vertrauen." Oder: "Du verdienst meine Liebe nicht mehr!"
Die einzigen Menschen, die von dieser Logik ausgenommen sind, sind kleine Kinder. Sie müssen sich nichts verdienen, wir gönnen ihnen, schenken ihnen, was sie brauchen. Wir kommen gar nicht auf die Idee, Kinder müssten sich ihr Essen oder unsere Zuneigung verdienen. Ein Säugling schreit, und wir geben ihm, was er braucht: Nähe, Nahrung, Geborgenheit. Kinder wiederum lernen erst langsam, dass es so einfach nicht bleibt: "Setz dich ruhig hin, dann kannst du anfangen zu essen!" Oder: "Räum dein Zimmer auf, danach darfst du spielen." Wer größer wird, bekommt von den Erwachsenen das Prinzip beigebracht: Verdiene dir, was Du bekommst!
Und als Erwachsene hören wir dann einen Glaubenssatz wie, dass Gott keinerlei Bedingungen an seine Liebe stellt, dass wir unverdient "allein aus unserem Glauben an Gott" dazugehören, "gerechtfertigt" sind. Das widerspricht unserer Erfahrung und unserer Logik. Und dann kommen noch Bibelstellen hinzu – Sie haben ja einige sehr sprechende ausgesucht –, die sagen, dass Jesus für diejenigen, die ihm nachfolgen wollen, sehr klare Anweisungen hat. Unsere gelernte Logik sagt uns also: Das sind dann eben doch Bedingungen, es sind Voraussetzungen, die wir erfüllen müssen, damit Gott uns annimmt. Wir müssen uns doch etwas verdienen – zumindest, wenn wir uns Nachfolger Jesu nennen wollen.
Ich glaube allerdings, dass wir hier zu schnell unserer gelernten Verdienst-Logik folgen. Jesus macht immer wieder deutlich, dass die Gerechtigkeit Gottes eine andere ist als die von uns Menschen. Wer zu ihm kommt, bekommt, was er braucht, egal, was er vorher getan hat. Davon erzählen viele Gleichnisse. Und dann sagt Jesus an einer sehr prominenten Stelle, dass wir das Reich Gottes, diese große Gnade annehmen sollen wie Kinder. Das finde ich eine ausgesprochen erhellende Stelle: "Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen." (Mk 10,14-15) Ich lege das so aus, dass Jesus uns dazu auffordert, aus unserer Verdienst-Logik auszusteigen. "Nehmt es einfach an, wie Kinder annehmen, was man ihnen zum Leben gibt: Als Geschenk. Versucht nicht, euch etwas von Gott zu verdienen, denn das werdet ihr niemals schaffen." Ich kann das sehr gut mit dem Gedanken der "Rechtfertigung aus Glauben allein" verbinden. Was sollte ich Gott denn geben, damit er "zufrieden" ist? Das tun, was Jesus sagt, und dann habe ich es geschafft? Oder würden dann nicht doch wieder Zweifel kommen, dass es immer noch nicht reicht, damit Gott mich liebevoll und gnädig anschaut?
Was die Worte Jesu angeht, die Sie gesammelt haben, so werden sie nicht bedeutungslos, doch meine ich, dass sie für diejenigen gelten, die sich bereits beschenken haben lassen. Erst kommt die Gnade, erst kommt das Geschenk Gottes. Und dann werde ich mich – weil ich mich wie ein Kind habe beschenken lassen – wie ein Erwachsener verhalten. Ich werde aus Dankbarkeit für etwas, was ich nicht verdiene, versuchen, vollkommen zu sein. Weil ich weiß, dass es nicht darauf ankommt, ob ich es schaffe, werde ich versuchen, Jesus so gut ich kann zu folgen. Ich werde mich über jeden Fehler ärgern und über jede meiner Sünden weinen, weil ich weiß, dass ich zurückkommen kann und wieder von vorn anfangen.
Es gilt also beides: Wir können uns Gottes Gnade nicht verdienen UND wir sollen genau deswegen uns Gottes Gnade würdig erweisen. Darum dürfen Sie meiner Meinung nach froh sein, dass Sie wissen, was von Ihnen verlangt ist. Sie dürfen aber zu allererst versuchen, sich völlig unverdient beschenken zu lassen – wie Gottes Kind, eben.
Ob ich Ihnen weiterhelfen konnte? Ich hoffe und wünsche es sehr.
Herzlichen Gruß
Frank Muchlinsky