Hallo Herr Muchlinsky,
ich habe einige Fragen zur kirchlichen Trauung:
Ich habe schon mehrfach gelesen, dass es nicht im Sinne der ev. Kirche ist, wenn der Vater die Braut zum Altar führt. Mir bedeutet diese Form des Einzugs allerdings sehr viel, da dieses ein Ausdruck meiner tiefen und liebevollen Verbundenheit zu meinen Eltern ist. Die Brautübergabe ist in unseren Augen eine stark emotionale symbolische Handlung, welche zum Ausdruck bringt, dass Familie und Partner noch mehr zusammengeschweißt werden. Kann uns dieser Brauch tatsächlich verwehrt werden?
Auch wichtig ist mir die persönliche und individuelle Auswahl an Liedern, welche nicht unbedingt klassische Lieder aus dem Gesangsbuch mit Orgelbegleitung sind. Hat man dabei in der Regel freie Wahl (z.B. eine Sängerin oder ein Gospelchor, die die ganze Trauung musikalisch begleiten), oder gibt es diesbezüglich Einschränkungen?
Ich freue mich über eine Antwort,
herzlichst Ihre Jennifer
Liebe Jennifer,
Ich kann nachvollziehen, was Sie schreiben. Der Brauch, dass die Braut von ihrem Vater in die Kirche geführt wird und am Altar dem Bräutigam übergeben wird, ist emotional ausgesprochen stark aufgeladen. Die Problematik bei dieser Sitte ist, dass sie – wie jede andere symbolische Handlung – eine Menge ausdrückt. Für Sie bedeutet es ein Zusammenwachsen Ihrer beiden Familien, manche Außenstehende (vielleicht auch Ihre zuständige Pfarrerin oder Ihr zuständiger Pfarrer) sehen darin, dass eine Frau von einer Unselbständigkeit in die nächste überführt wird, als würde sie erst dem Vater "gehören" und dann ihrem Ehemann, oder – etwas weniger drastisch ausgedrückt – als würde sie aus der Obhut des Vaters in die ihres Mannes übergeben – als ob Sie nicht auf eigenen Füßen stehen könnten.
Wie gesagt, ich habe durchaus kapiert, dass Sie dieser Handlung eine ganz andere Bedeutung geben. Ich möchte Ihnen nur deutlich machen, was man in dieser Sitte noch entdecken kann, damit Sie etwas Verständnis dafür aufbringen können, falls Ihre Pfarrerin oder Ihr Pfarrer sich weigern sollten, Ihnen diese Art des Einzugs in die Kirche zu gestatten.
Bitte machen Sie sich vor allem dies deutlich: Die kirchliche Trauung ist ein Gottesdienst. Für Gottesdienste gibt es Regeln und feste Abläufe – auch für Traugottesdienste. Und die derzeit gültigen Abläufe sehen diese Art der "Brautübergabe" nicht vor. Das Paar zieht gemeinsam ein und auch wieder aus der Kirche heraus. Der Grund für diese Form ist, dass die evangelische Kirche betonen möchte, dass Sie bereits ein verheiratetes Paar sind, wenn Sie an der Kirche ankommen. Sie "treten gemeinsam vor den Altar". Ihre Ehe wird ja nicht in der Kirche geschlossen, sondern bereits auf dem Standesamt.
Nun kommt ein großes ABER. In der Regel wird man Ihnen eine Menge möglich machen, was die Gestaltung Ihres Traugottesdienstes angeht. Die Liederauswahl und auch die Form des Einzuges können Sie in dem Traugespräch, das Sie ja führen werden, offen ansprechen. Gerade was die Liedauswahl angeht, sind die meisten Kirchengemeinden sehr offen für eine vielfältige Gestaltung. Also äußern Sie bitte offen Ihre Wünsche und Vorstellungen im Traugespräch! Sie werden vielleicht überrascht sein, was alles möglich ist. Wenn Ihre Pfarrerin oder Ihr Pfarrer keine Einwände haben, können Sie sich durchaus auch von Ihrem Vater zum Altar führen lassen.
Als letztes noch ein kleines Aber. Weil die kirchliche Trauung ein Gottesdienst ist, hat das letzte Wort der Pfarrer bzw. die Pfarrerin, die Sie trauen soll. Es ist ihr Amt, Gottesdienste im Sinne der Kirche zu feiern. Das haben sie bei ihrer Amtseinführung gelobt. Sollten Sie also auf jemanden stoßen, der Ihnen nicht alle Gestaltungswünsche erfüllen möchte, liegt es nicht daran, dass er ein Spaßverderber wäre, sondern er oder sie hat echte Bedenken.
Ach, ich mag nicht mit einem "negativen" Ausblick diese Antwort beenden, denn Sie haben ja Schönes vor! Es gilt das große ABER: Es ist viel möglich, und meistens lassen sich Wege finden, dass Sie als Brautpaar einen wunderbaren Gottesdienst mit Ihren Freunden und Verwandten feiern können. Wie gesagt: Sprechen Sie es an!
Sehr herzliche Grüße und viel Spaß bei Ihren Vorbereitungen!
Frank Muchlinsky