Meine Schwester glaubt an Hölle und Fegefeuer. Wie kann ich damit umgehen?

Katharina
Gemälde mit Seelen im Höllenfeuer
© Catherine Leblanc/iStockphoto/Getty Images

Hallo,

meine kleine Schwester (Anfang 20) ist seit Corona in einer Freikirche aktiv, die sich meines Wissens in Richtung Evangelikal / Pfingstgemeinde orientiert. Zu Beginn konnte ich das noch akzeptieren (jedem das seine). Nun aber habe ich erfahren, dass sie die Evolutionstheorie leugnet, anderen Leuten an Infoständen vom Fegefeuer erzählt und überzeugt ist, dass Nichtchristen in die Hölle kämen. Sie nimmt die Bibel explizit und zu hundert Prozent wörtlich. Sie sieht sie als reine Botschaft Gottes ohne Interpretationsspielraum. Es gefalle ihr auch, dass es keinen Diskussionsspielraum gebe. Neulich sagte sie mir geradeheraus, dass auch ich in ihren Augen keine Christin sei. Christ sei nur, wer streng wörtlich nach der Bibel lebe, wer da nicht interpretiere und sich "raussuche, wie es passt"; wer Buße tue und sich voll nach Jesus richte. Alle, die das nicht täten, kämen ins Fegefeuer und in die Hölle.

Sie bestätigte auf meine Frage hin auch, dass das Höllenbild ihr Angst mache, betonte aber, dass ihr Glaube nicht auf Angst beruhe, sondern sie "befreie". Ich kann das einfach nicht glauben. Und ich war ganz erschrocken von dem, was sie da erzählte. Sie ist eigentlich ein sehr schlauer und reflektierter Mensch und auch tolerant. Ich fühle mich nun ganz hilflos daneben. Mein eigener Glaube, an einen liebenden Gott für alle Menschen, die klare Hoffnung auf einen Himmel für alle und auf ein Wiedersehen der Angehörigen nach dem Tod in Gottes ewiger Liebe ist mir wichtig und eigentlich dachte ich, er wäre ganz fest. Aber neben ihren Bibelzitaten und ihren handfesten "Beweisen" fühle ich mich so klein und verwundbar. Wo sind meine Beweise? Habe ich sie? Ich habe immer nur auf mein Bauchgefühl vertraut, und dahin war es ein weiter Weg. Damals hatte ich auch viel Kontakt zu Lehren ihrer Kirche, und mir ging es ganz schrecklich damit. Ich hatte solche Angst. Ihre Glaubenslehre macht mir auch heute noch Angst, verunsichert mich, denn was ist, wenn sie Recht hat?

Und zugleich macht es mich wütend, was sie glaubt. Und es kränkt mich, dass sie mir mein Christsein abspricht, es verletzt mich wirklich. Als wäre ihr Glaube besser als meiner. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Glaube, getrieben aus Höllenangst, sie wirklich erfüllt. Ich habe auch nicht das Gefühl dass es sie weich und liebevoll macht, sondern eher dogmatisch und streng und als hätte sie - Verzeihung - an der Pforte zu ihrer Gemeinde ihr Hirn abgegeben. Das meine ich nicht böse. Ich fühle mich nur hilflos auf all diesen vielen Ebenen und total verunsichert.

Sie sagt auch klipp und klar, Jesus habe mehr von der Hölle geredet als vom Himmel. Und dass die Bibel da unmissverständlich sei in ihrer Botschaft. Wer nicht richtig glaube, der sei nicht erlöst, sondern lehne den Himmel und Gott ja ab. Wie kann ich dem begegnen? Gespräche zum Thema bringen wenig, das kränkt mich nur. Wie kann ich stark sein in meinem Glauben? Die Beziehung zu ihr pflegen - ich habe sie ja lieb! - mit diesem Wissen, was sie glaubt und wie sie auch mich sieht? Wie kann ich wissen, dass es ihr wirklich gut geht in dieser Freikirche, und sie nicht innerlich eigentlich total unter Druck steht? Und was, wenn am Ende doch sie recht hat? Davor habe ich Angst - und ganz ehrlich: einem Gott, der die Hölle für die meisten Menschen anvisiert, will ich nicht treu sein. Das mag radikal klingen, aber ich glaube und hoffe auf die Liebe, nicht auf Tod und Verdammnis, nur weil jemand "falsch glaubt" oder Fehler gemacht hat. Vielleicht haben Sie ein paar hilfreiche Gedanken dazu, ich hoffe es. Gerade bin ich ohne Orientierung.

Lieben Dank und beste Grüße,

Katharina

Liebe Katharina, 

herzlichen Dank für Deine Zeilen. Beim Lesen meine ich zu spüren, wie viele verschiedene Gefühle sich bei Dir vermischen. Ich kann das gut nachvollziehen, dass Du auch viel Ohnmacht in dieser Situation empfindest. Einerseits ist da das Unverständnis für die Überzeugungen Deiner Schwester, die sich aber ja auch mit Liebe zu ihr vermischen. Andererseits ist da Deine ganz eigene Verunsicherung, die Du angesichts ihrer kategorischen Haltungen im Hinblick auf Deinen Glauben empfindest. 

Was Deine Schwester angeht, so hast Du ja schon gemerkt, dass sie sich durch deine Gegenrede nicht von Ihren Haltungen abbringen lässt. Ich glaube, dass nicht wenige Menschen sich in Welt- und Glaubensbilder flüchten, die sehr stark zwischen schwarz und weiß, gut und böse unterscheiden, weil das so viel einfacher erscheint als die viel komplexere und kompliziertere Wirklichkeit auszuhalten. Es könnte sein, dass das bei Deiner Schweseter auch der Fall ist. Im Kontext ihrer ganz engen Glaubensauffassungen ist es ja sogar plausibel, dass sie Dich auch unbedingt davon überzeugen will. Sie wird davon ausgehen, dass diejenige, die nicht an Hölle und Fegefeuer glaubt, nicht gerettet werden kann. Paradoxerweise wird also in ihrem Selbstverständnis die Art, wie sie Dich angeht, als ein Erweis ihrer Liebe zu Dir erscheinen. 

Dann sind da ja noch Deine eigenen Verunsicherungen. Die Haltungen Deiner Schwester bringen Deine eigenen Überzeugungen ins Wanken. Dass Du da aber ruhig auf Deine eigenen Überzeugungen vertrauen solltest, dafür lieferst Du ja selbst in Deinen Zeilen Anhaltspunkte. Du schreibst von einem Glauben, der "dogmatisch und streng" macht statt "weich und liebevoll". Ich bin der Überzeugung, dass Glauben in die Freiheit führt und nicht in Verhärtungen und Enge. Du kannst da also ruhig Deinem eigenen Bauchgefühl vertrauen. Dieses Gefühl ist ja nicht bloß aus der Luft gegriffen, sondern es gründet in all den Erfahrungen, die Du mit deinem Glauben gemacht hast. Diese Erfahrungen sind ein gewichtigeres Argument als jede aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstelle. 

Es ist gar nicht leicht, Dir etwas hilfreiches zu raten in dieser Situation. Ich würde Dir empfehlen, Dich nicht in Gegenreden gegenüber deiner Schwester zu verkämpfen. Die werden sie kaum überzeugen, nehme ich an. Wohl aber solltest Du von Deinen Empfindungen reden, etwa, wie sehr es Dich verletzt, wenn sie dir dein Christsein abspricht. Zudem ist es sicher gut, wenn Du ihr signalisierst, ihr weiterhin als Gesprächspartnerin zur Verfügung zu stehen. Vielleicht wird sie eines Tages beginnen, die Dinge zu überdenken und dann ist es sicher wichtig, dass sie in Dir eine verlässliche Gesprächspartnerin hat. Zudem könnte es sicher gut sein, wenn ihr gemeinsam Dinge unternehmt, die euch beiden Freude machen und bei denen das Streitthema vielleicht mal eine Zeit lang außen vor bleibt. Letztlich bleibt ihr ja Schwestern, die einander lieben, auch wenn ihr mit Blick auf religiöse Themen so grundlegend anderer Meinung seid. 

Für Euren gemeinsamen Weg wünsche ich Euch Segen und viel Kraft. 

Herzlich,

Katharina

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