Hochlutheraner

Rosenstiel

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

was versteht man unter Hochlutheranern?

Sehr geehrte Frau Rosenstiel,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich nicht kurz und knapp direkt heraus beantworten kann. Nachdem bei einer groben Internetrecherche kaum etwas über das sog. „Hochluthertum“ zu finden war und auch sämtliche einschlägige Lexika keinen gesonderten Eintrag dazu führen, werde ich den Begriff so definieren, wie ich ihn nach der Lektüre einiger Aufsätze, die ihn verwenden, verstehe.

In der Internetrecherche taugt der Begriff vor allem in Zusammenhang mit „Anglokatholizität“ und „Liturgieschwärmerei“ auf. Ich ordne den Begriff deshalb den sog. hochkirchlichen Bewegungen (High Church Movement) zu. P. Toon beschreibt diese im Evangelical Dictionary of Theology (Hrsg. Walter A. Ewell, 1984) als ein Phänomen, welches in einigen der großen protestantischen Kirchen, besonders aber in der anglikanischen Kirche, zu finden ist. „Hoch“ meint in diesem Kontext ein höheres Ansehen der Kontinuität der Kirche in der Geschichte und ihrer damit verbundenen Sichtbarkeit. Weitere Kennzeichen, die das Wort „hoch“ beinhaltet sind nach P. Toon die besondere Betonung ordinierter und gebildeter Geistlicher, Achtung gegenüber der röm.-kath. Tradition (insbesondere der ökumenischen Glaubensbekenntnisse) und eine gepflegte Liturgie. P. Toon weist darauf hin, dass es seit dem 17. Jahrhundert solche Strömungen im Luthertum immer gegeben hat, auch wenn diese nicht explizit mit dem Adjektiv „hoch“ verbunden oder gekennzeichnet wurden.

In der deutschsprachigen Literatur ist für den deutschen Raum von der „Hochkirchlichen Vereinigung Augsburgischen Bekenntnisses“ die Rede. Sie wird, zumindest von röm.-kath. Seite, als DIE hochkirchliche Bewegung schlechthin angenommen. Kennzeichen allgemein sind nach E. Seybold im Lexikon für Theologie und Kirche (LThK V) das Einstehen für eine biblische Predigt, liturgisch-sakramentale Gottesdienstgestaltung, Beichte und Brevier, Kommunitäten und Amtsversöhnung im Zeichen der altchristlichen bischöflichen Sukzession. Die hochkirchliche Bewegung geht auf das Jahr 1918 und den lutherischen Pfarrer Heinrich Hansen (1861-1940) zurück; die „Hochkirchliche Vereinigung Augsburgischen Bekenntnisses“ auf das Jahr 1935 und weist ein deutlich reformatorisches Profil und die Katholizität der Augsburger Konfession auf.

H. Mayr erweitert die Charakteristika der Hochkirchlichen Bewegung im seinem Lexikoneintrag im Evangelischen Kirchenlexikon (Hgg.: Fahlbusch et al. 1989). Ihm zu folge strebt die Hochkirchliche Bewegung die „Evangelische Katholizität“ der Einen Kirche an. Er schreibt von einer Kirche, deren Seele evangelisch und deren Leib katholisch ist. Ökumenische Fülle und Weite, ein sichtbarer Leib Christi, die Vermittlung des Heils an die Welt und ein gesamtkirchliches Bewusstsein sollen auf evangelischer Seite erweckt werden. Auch H. Mayr fasst die sichtbaren Ausformungen des Kirchenverständnisses folgendermaßen zusammen: 1. ein Vollgottesdienst mit Wort und Sakrament inkl. Stundengebeten in gebundener Form in reicher liturgischer Gestaltung und gottesdienstlichen Gewändern, 2. verbindliche Formen geistlichen Lebens (Orden und Bruderschaften) mit Einzelbeichte, 3. kirchliche Diakonie und 4. das geistliche Amt mit Bischofsamt (inkl. Sukzession).

Ich gehe davon aus, dass alle diese Merkmale auch auf das Hochluthertum zu übertragen sind. Die einzige begriffliche Komplikation, die ich sehe, taucht im Kirchenbegriff auf. Während in der hochkirchlichen Bewegung vor allem die Sichtbarkeit der Kirche betont wird, ist in der lutherischen Ekklesiologie insbesondere die Unsichtbarkeit (in Parallelität zur Sichtbarkeit) der Kirche betont. Darin sehe ich ein Spannungsfeld, wenn vom sog. Hochluthertum und der Hochkirchlichen Bewegung als äquivalent gesprochen wird.  

Ich hoffe trotzdem, dass ich Ihre Frage beantworten konnte und Ihnen einiges an Informationsmaterial an die Hand geben konnte.

Pia Heu

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