Gewalt im Alten Testament

Adam Palus
Foto: pixabay/istorywriter

Guten Tag Herr Pfarrer Muchlinsky,

ich beschäftige mich immer wieder mal mit der Gewalt im Alten Testament. Auf dem Weg ins Heilige Land und auch beim Einzug, der einer Eroberung gleicht, werden die "Ureinwohner" Kanaans vertrieben und hingerichtet. In der Bibel steht hier immer wieder, es soll der (göttliche) Bann an ihnen vollstreckt werden, dafür, dass sie Götzen anbeteten und Menschenopferungen durchführten.

Frage: Bei allen begangenen Sünden, kann Völkermord wirklich als Gottes Wille gedeutet werden? Ich verweise auf 4. Mose 31, 14-18 und 5. Mose 18, 9-13.

Mit freundlichen Grüßen

Adam Palus

 

Lieber Herr Palus,


danke für Ihre recht unaufgeregte Frage zu einem sensiblen Thema.

Bevor ich zu antworten versuche, möchte ich ein Begriffs-Problem ansprechen: „Völkermord“ ist kein angemessenes Wort für das, was wir da in den Texten und in der ganzen Antike finden. Völkermord besagt, dass ein politisch verfasstes Volk einem anderen das Lebensrecht abspricht und es systematisch ausrottet. Das scheint sich zwar mit den alttestamentlichen Texten zu decken, ist aber nicht ganz gleich, schon deswegen, weil wir bei den biblischen Texten im Dunkeln tappen.


Nun zu Ihrer Frage. Die Antwort besteht aus mehreren Elementen:

1.      Wir haben nicht einen einzigen außerbiblischen Hinweis darauf, dass der Auszug aus Ägypten und der Einzug nach Kanaan so stattgefunden haben, wie das Alte Testament es berichtet. Keine Textquelle berichtet davon, kein einziger archäologischer Fund gibt darauf auch nur einen Hinweis (die Zerstörung kanaanäischer Städte im 11.Jh. v.Chr. ist nicht von außen verursacht). Wir sind also auf das Zeugnis der biblischen Texte angewiesen, und da ergibt sich, dass sie ein unentwirrbares Geflecht aus alten Erinnerungen, übernommenen Legenden und späteren Deutungen oder Ereignissen sind. Man kann das durchaus textlich beobachten, aber leider nicht endgültig klären. Es besteht daher Grund zu der Annahme, dass vieles, was das biblische Israel aus seiner Frühzeit berichtet, eher mythisch-sagenhaft ist als dass es wirklich stattgefunden hätte.

Falls Sie das genauer verfolgen wollen, empfehle ich Ihnen folgendes Buch: Israel Finkelstein/Neil A. Silberman, Keine Trompeten vor Jericho (Der Titel ist etwas reißerisch, aber die beiden – ein Archäologe aus Israel und ein US-amerikanischer Pfarrer und Journalist – kennen ihre Materie wirklich gut).



2.      Im Alten Orient und in der Antike wird jeder Krieg „im Namen Gottes“ geführt, d.h., es geht darum, den Herrschaftsbereich des eigenen Gottes zu sichern oder zu erweitern. Wer dem anderen Gott anhängt, ist daher ein Feind und wird wie einer behandelt. Dabei gelten jedoch – zumindest in der Theorie – strenge Regeln. Massaker aus purer Mordlust und ohne göttlichen Befehl sind sowohl im Alten Testament als auch in den anderen Kulturen streng verboten. Den „Bann vollstrecken“ hat zwar zur Konsequenz, dass Menschen getötet werden, es geschieht aber nach festen Regeln, wie ein Opfer oder wie eine Hinrichtung. Was „gebannt“ ist, ist ab sofort dem menschlichen Zugriff entzogen und gehört Gott. Die Antike kennt also eine Art „Kriegsordnung“ – schon deshalb ist der Begriff des Völkermordes problematisch. In Josua 7 und 1. Samuel 14 und 15 können Sie lesen, was passiert, wenn die Israeliten die Regeln des Bannes nicht einhalten: In allen Fällen eignen sie sich Kriegsbeute an, was bedeutet, dass sie den Krieg nicht regelkonform geführt haben, sondern aus egoistischen Motiven – und das wird streng bestraft.

Diese Art der Kriegführung ist (gottlob) aus der Mode gekommen. An Stellen wie diesen, erklären wir historisch und sagen, dass diese Stellen nur aus und für ihren historischen Kontext gelten.



3.      Was sich – im Unterschied zu (1) – tatsächlich nachweisen lässt, ist, dass vom 8.Jh. v. Chr. an und dann ziemlich ununterbrochen das biblische Israel genau das erlitten hat, was es behauptet den Kanaanäern angetan zu haben. Lesen Sie einmal das Buch der Klagelieder oder schauen Sie sich die assyrischen Bilder aus Lachis an (finden Sie beim Britischen Museum) und Sie verstehen, was ich meine. Es gibt daher eine ganze Reihe von Exegeten, die – im Blick auf die Ergebnisse von (1) – sagen, dass Exodus bis Richter pure Phantasie sind, die aus dem Trauma der Opferrolle geboren ist. Wer dauernd misshandelt wird, wünscht sich einfach, irgendwann zurückzuschlagen und imaginiert seine eigene Geschichte so, als wäre er selbst der Held. Ich finde das psychologisch schlüssig, aber theologisch und textlich nicht völlig befriedigend.



4.      Wenn Sie von 2. Mose an lesen, dann stellen Sie fest, dass zuerst der Götzendienst der eigenen Leute kommt (2. Mose 32-34 und zwar obwohl sie es besser wissen müssten!) und dann die Erzählungen von der kriegerischen Landnahme. Und es gelingt weder Josua noch den Richtern noch den Königen, das Volk Israel dazu zu bringen, einigermaßen seinem Gott treu zu bleiben. Die Kanaanäer und wie die Völker alle heißen, sind erstens nie wirklich aus dem Land verschwunden und zweitens ist Israel stets und ständig zu ihnen übergelaufen.  Aus der Binnenperspektive ist das für die Texte das viel schwerere Problem, dass Israel nie verwirklichen konnte, was es hätte tun sollen. Jeder Aufruf am Götzendiener den Bann zu vollstrecken, ist daher auch eine Drohung an Israel selbst. Da macht das Alte Testament keinen Unterschied zwischen dem Feind von außen und dem Feind von innen.



5.      Trotz der harten Vorschriften und der Erzählungen von Mord und Totschlag, gibt es auch die anderen Texte, die sehr gut wissen, dass nicht jeder Fremde ein Götzendiener ist und dass man mit ihnen ziemlich gut zusammenleben kann. Abraham, Jakob und Joseph in 1.Mose einigen sich mit den Fremden (fast) immer per Vernunft und Vertrag. Mose hatte eine midianitische Frau, David eine moabitische Großmutter (Buch Ruth). Es geht also auch anders. Gerade das kleine Buch Ruth ist in dieser Hinsicht unglaublich wichtig: Moabiter dürfen mit Israel eigentlich absolut nichts zu tun haben (5. Mose 23), aber da setzen sich die Ruth-Leute einfach drüber weg und tun so, als gäbe es diese Vorschrift gar nicht. Wenn das schon im Alten Testament gilt, dann dürfen wir das heute auch tun, denke ich.



Wenn Sie die Frage "Gott und Gewalt" weiter bedenken wollen, empfehle ich Ihnen: Walter Dietrich/Christian Link, Die dunklen Seiten Gottes. Ein gutes Buch.

Freundliche Grüße

Frank Muchlinsky

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