Muss ich die Bibel wörtlich nehmen?

Christian Röring
Deutsche Bibel mit Bleistift und Radiergummi auf einem Tisch
© Tim Kuhn / Unsplash

Die Zeugen Jehovas fragen mich, ob ich die Schöpfung wörtlich nehme. Also, ob ich die Bibel wörtlich nehme. Wie definiert man dann die Bibel?

Lieber Herr Röring,

danke für Ihre Frage! Sie sprechen in wenigen Worten etwas Grundlegendes an, das enorme Auswirkungen darauf hat, wie wir Gottes Wort verstehen. Gerne teile ich mit Ihnen meine Gedanken dazu.

Wie definiere ich die Bibel? Die Bibel ist für mich „Gottes Wort“, weil sie bezeugt, wann, wie und wo sich Gott den Menschen im Laufe der Zeit offenbart hat. Zugleich ist sie „Menschenwort“, denn sie wurde von Menschen geschrieben und für uns als Gottes Offenbarung aufbewahrt. 
Gott hat sein Wort den Schreibenden nicht „in die Finger diktiert“. Gottes Wort erreicht uns aus der Bibel immer durch menschliche Erfahrungen und menschliches Wort. Als Empfangende müssen wir das Geschriebene interpretieren, über der Bibel schwitzen und gemeinsam um die Bedeutung ringen. Genau das macht die Bibel aus!

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, die Bibel „wörtlich“ zu nehmen? Sie nennen mit der Schöpfungsgeschichte ein exzellentes Beispiel: Hier werden zwei völlig unterschiedliche Erzählungen miteinander verwoben:
In der ersten Erzählung (Gen 1, 1 bis 2,4a.) ordnet Gott die Welt. Gottes Schöpfung wird mit dem sich immer wiederholenden Satz gelobt: "Und Gott sah, dass es gut war" (Gen 1, 4.10.25. und weitere). Gott hat gemäß dieser ersten Erzählung den Menschen erst am Ende der Schöpfung geschaffen.
In der zweiten Erzählung formt Gott den Menschen gleich zu Beginn der Schöpfung aus Erde (Gen 2, 4b bis 2, 25.). Diese beiden Erzählungen zeigen, dass die Bibel kein einheitliches, abgeschlossenes Bild von der Schöpfung beschreibt. Was steht nun also „wörtlich“ in der Bibel über die Schöpfung? zeigt kein einheitliches, abgeschlossenes Bild von etwas, das der Vielseitigkeit der Welt gerecht wird.
 
Die Bibel ist unsere Glaubensgrundlage, die jeweils neu ausgelegt werden muss. Kein Mensch hat die absolute Deutungsmacht über diese Worte. Für mich ist es nicht die Schwäche der Bibel, dass sie von Menschen geschrieben ist: Es ist ihre Stärke! Die für uns bewahrten Erfahrungen bezeugen Gottes Wirken und inspirieren unser Vertrauen in ihn. Das verleiht der Bibel als „Gottes Wort“ durch „Menschenwort“ ihren unschätzbaren Wert.

Ich wünsche Ihnen segensreiche Diskutieren über die biblischen Worte!
 
Herzliche Grüße
Ihre Helena Malsy
 

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