Humanistisches und christliches Menschenbild?

Susanne

Hallo,
schon lange habe ich hier keine Frage mehr gestellt. Aber nun treibt mich, seit geraumer Zeit, wieder mal eine kniffelige Frage um. Ich habe bereits "das Internet befragt". Aber je mehr ich dort "herumforsche", umso mehr verwirrt mich das Alles. Das Wissen eines Theologen zu dem Thema ist darum, so denke ich, weitaus aufschluss- und hilfreicher für mich, als das Internet.
Meine Frage ist diese: Was versteht man unter einem "Humanistischem Menschenbild" im Unterschied zu einem "Christlichen Menschenbild"?
Über eine Antwort auf meine Frage würde ich mich sehr freuen, denn sie bereitet mir doch einiges an Kopfzerbrechen. Ich habe immer gedacht, ein anderes Menschenbild, als das Christliche gibt es nicht. Und nun soll es da plötzlich noch ein "Humanistisches Menschenbild" geben. Damit komme ich nicht zurecht.
Herzliche Grüße
Susanne

Liebe Susanne,

als ich Ihre Frage las, dachte ich: Wo soll denn da ein wesentlicher Unterscheid sein? Ein humanistisches Menschenbild müsste mindestens aus dem christlichen Menschenbild abgeleitet sein. Ich dachte an zweieiige Zwillinge. Doch dann habe ich es Ihnen nachgemacht und auch „das Internet befragt“ und versucht, die Dinge zu sortieren.

Bei der Suche nach dem humanistischen Menschenbild stößt man schnell auf den Psychotherapeuten Carl Rogers, der die Einzigartigkeit des Individuums betont. Mit dem Satz „der Mensch ist gut“, setzt er auch einen theologischen Akzent. Menschen streben nach Autonomie, sie wollen sich, so Rogers, von äußerer Kontrolle und Zwängen befreien. Das klingt christlich.

Dieses humanistische Menschenbild greift auf Gedanken des Humanismus zurück, der im 14. Und 15. Jahrhundert aufkam. Humanismus geht davon aus, dass der Mensch sich selbst und seine Existenz aus eigenem Willen und aus eigener Kraft verbessern kann. Humanismus steht für Bildung, Kunst, Kultur und für die Fähigkeit des Menschen sich aus eigener Kraft weiterzuentwickeln. Auch das klingt christlich.

Bei der Suche nach dem Begriff „Christliches Menschenbild“ tritt aber eine andere Sichtweise in den Vordergrund. Die christliche Sicht auf den Menschen beginnt nicht mit dem Menschen, sondern schon mit dessen Erschaffung. Das christliche Menschenbild geht davon aus, dass der Mensch immer ein Geschöpf Gottes ist. Der Mensch muss sich die Freiheit und seine Autonomie nicht mühevoll erarbeiten, sondern sie wird ihm von Gott anvertraut. Das erzählt die Bibel mit dem Bild, dass Gott den Menschen in den Garten Eden setzt und ihm den Auftrag gibt, den zu bebauen und zu bewahren (1. Mose 2,15 https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose2%2C15). Das Leben ist also ein anvertrautes Gut, für das der Mensch Verantwortung trägt und in dem er seine Lebensgrundlage hat.

Damit ist der Unterschied beschrieben: Das humanistische Menschenbild betont die Freiheit des Menschen, sich aus eigener Kraft zum Besseren zu entwickeln. Das christliche Menschenbild betont dagegen die Freiheit, die Gott dem Menschen schon bei dessen Erschaffung eröffnet und beständig erneuert. Christliches Leben rechnet auch mit menschlichen Schwächen, dem Versagen und neuen Anfängen, mit Sünde und mit Gottes Gnade. Scheitern, für viele Menschen eine furchtbare Erfahrung, ist dem christlichen Menschenbild nicht fremd, denn es kennt einen gnädigen Gott.

Allerdings: Wenn es um die Autonomie und die Freiheit und deren Wirkungen geht, treten die Unterschiede zwischen einem humanistischen und dem christlichen Menschenbild in den Hintergrund. Oftmals war es die Idee eines umfassenden Humanen, von der eine Verbindung zwischen Religionen und Weltanschauungen erwartetet wird. Der jüngst verstorbene Theologe Hans Küng startete das „Projekt Weltethos“. Er unternahm den Versuch, die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zu beschreiben und ein gemeinsames Ethos, ein knappes Regelwerk aus den Grundforderungen aufzustellen, die von allen akzeptiert werden können. Hans Küng scheute als Christ die mögliche Konkurrenz der Menschenbilder nicht, im Gegenteil, er suchte nach den Verbindungen.

Nun haben wir beide gründlich „das Internet befragt“ und vieles zu dem Thema gelesen und ich hoffe sehr, dass meine Antwort Ihnen beim „Kopfzerbrechen“ etwas hilft. Ihre Frage hat mir viel Freude bereitet, weil ich auch an den christlichen Kämpfer für ein Weltethos Hans Küng erinnert wurde.

Ihr Henning Kiene  

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