So Vieles aus der Bibel ist mir nicht schlüssig; erscheint mir komplett widersprüchlich. Um mal eine Sache herauszugreifen, die vielleicht mein Gesamt-Paket an Zweifeln verkleinern könnte, wenn ich sie verstehen würde: Wieso sollte Gott sich ein kleines Volk wie Israel aussuchen und ihm eine so besondere Rolle zugestehen? Er ist doch ein Gott für alle Menschen auf der Erde! Ein bestimmtes Volk herauszupicken, hervorzuheben, besonders mit seiner Gunst zu versehen, das passt doch nicht.
Liebe Caroline,
die Vorstellung, dass unser Gott einer ist, der "für alle Menschen auf der Erde" da ist, ist uns heute so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir uns in der Tat kaum vorstellen können, dass diese Vorstellung sich erst aus einer anderen entwickelt hat. Der Gott unserer Bibel ist zwar von Anfang an Schöpfer der ganzen Welt, doch seine besondere Zuneigung gilt am Anfang einer einzigen Familie, der von Abraham und Sarah. Aus deren Nachkommen wird das Volk Israel, dem sich Gott in besonderer Weise annimmt. Er offenbart sich Mose und gibt seinem Volk seine Regeln, seine Tora. Israel wird sein Volk.
Dieser Gott, so sagt die Bibel weiter, ist der Vater Jesu Christi, durch dessen Kommen – das glauben wir Christinnen und Christen – nicht nur das jüdische Volk, sondern die ganze Menschheit in dieses besondere Verhältnis mit hineingenommen wird. Diese "Öffnung" hat den ersten Christen eine Menge Kopfzerbrechen bereitet. Man fragte sich: Müssen wir erst Juden werden, bevor wir uns taufen lassen, damit wir zu Gottes Volk gehören? Paulus ist einer derjenigen, die hier eindeutig Stellung bezogen haben, in der Weise, die Sie anscheinend teilen. Paulus sagt: Nein, Jesus Christus ist für alle Menschen gekommen, für die Juden ebenso wie für die Heiden.
Aber: Das Heil Gottes kommt eben von diesem einen Volk Israel, weil Gott sie zuerst erwählt hat. Diese Haltung hat sich durchgesetzt, und heute ist es für uns, wie gesagt, fast selbstverständlich, dass unser Gott für alle Menschen da ist.
In der Hoffnung, Ihnen ein wenig weitergeholfen zu haben grüße ich herzlich
Frank Muchlinsky