Liebe Frau Löw, Danke bestens für ihre ausführlichen Beschreibung über den Talmud. Ich habe jedoch 2 Fragen gestellt. Erlauben Sie, dass ich noch einmal nachhake. Warum picken Sie und ihre Kollegen nur ein paar Verse aus der Tora heraus, mit denen sie etwas anfangen können, zb. die 10 Gebote, während Sie die anderen Sachen nicht beachten? Mfg Christian Allenbach
Lieber Herr Allenbach.
jetzt langsam glaube ich zu verstehen, worauf Ihre Frage abziehlt. Entschuldigen Sie bitte, dass das etwas länger dauerte. Sie wollen wissen, warum nicht alle Gesetzesvorschriften des Ersten Testaments von uns Christinnen und Christen befolgt werden?
Dies hat mit unserem evangelischen Schriftverständnis nach Martin Luther zusammen. Wir haben den hermeneutischen Schlüssel "Was Christum treibet".
Dazu ist hier auf evangelisch.de mal etwas sehr Kluges von Ralf Peter Reinmann erschienen: Was ist evangelisch? Allein die Schrift macht's
Er schreibt da:
"Luthers Prüfstein war das Kriterium, „was Christum treibet“ – das heißt: wo kommt das Evangelium vor? Hierzu ein Beispiel: Vom Jakobusbrief war Luther so enttäuscht, weil er eben nicht die Rechtfertigung aus Glauben, sondern den Vorrang guter Werke vertritt, dass Luther dieses biblische Buch eine „stroherne Epistel“ nennt. Aus der Bibel hat Luther den Jakobusbrief allerdings nicht aus der Bibel verbannt, ihn jedoch ans Ende der Bibel verschoben.
Hier wird ganz deutlich: Nicht die Bibel ist Wort für Wort inspiriert, sondern sie muss aus folgender Perspektive gelesen und verstanden werden: Wo kommt die gute Nachricht von Jesus Christus vor?
Natürlich lässt sich das reformatorische Schriftprinzip nicht allein auf Martin Luthers Satz „Was Christum treibet“ reduzieren. Theologen kennen noch weitere Prinzipien der Bibelauslegung, die sie am griffigsten auf Latein zitieren:
Scriptura sui ipsius interpres bedeutet: die Bibel legt sich durch andere Bibelverse aus, um so ein biblisches Gesamtbild zu erhalten.
Sola scriptura – tota scriptura: allein die Schrift heißt auch die gesamte Heilige Schrift. Man darf sich also nicht nur Lieblingsverse bei Argumentationen herauspicken, sondern muss das gesamte biblische Zeugnis beachten."
Die 10 Gebote sind deshalb für uns Christinnen und Christen so wichtig, weil Jesus sie im Doppelgebot der Liebe zusammenfasst (vgl. Markus 12, 29-31)
Mit herzlichen Grüßen, Ihre Sabine Löw