Muss man Vater und Mutter in jedem Fall ehren?

Sina
Lebkuchenherz
Foto: Meinzahn/iStockphoto/Getty Images

Das vierte Gebot sagt: Du sollst Vater und Mutter ehren. Doch es gibt auch Eltern, die Ihre Kinder nicht ehren, sie schlagen demütigen und so weiter. Es heißt doch auch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wie sollen sich Menschen, die von ihren Eltern immer wieder gedemütigt und enttäuscht werden, an diese Gebot halten? Sollten sie sich nicht lieber aus Selbstschutz abwenden?

Liebe Sina,

Die Zehn Gebote sind dafür da, ein gutes Miteinander zwischen Menschen zu regeln. Sie haben aber absolut Recht: Es halten sich längst nicht alle Menschen an die Gebote, und gerade Eltern können im Umgang mit ihren Kindern einen großen Schaden anrichten. Das kann schon dazu führen, dass sich Kinder von ihren Eltern abwenden. Doch ist es mit dem vierten Gebot wie mit allen anderen auch: Nur, weil jemand anderes ein Unrecht begeht, ist das für diejenigen, die davon betroffen sind, kein Freibrief, auch ungerecht oder falsch zu handeln. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht.

Sich von seinen schlagenden oder demütigenden Eltern abzuwenden, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, sie tatsächlich weiterhin zu "ehren", weil man nicht in die Versuchung kommt, zurückzuschlagen oder ähnlich Schlimmes zu tun, wie das, was sie einem angetan haben. Eltern können den Respekt, die Ehre, die Kinder ihnen "schulden", durchaus verspielen. Es ist wie mit dem Gebot, dass verheiratete Menschen sich nicht scheiden lassen sollen: Ich würde in jedem Fall sagen: Ja, stimmt erst einmal, geht nicht leichtfertig mit Eurer Ehe um. Aber wenn es zu Verletzungen kommt, die nicht mehr heilen können, dann ist die Trennung der richtige Weg.

Ich schreibe es darum noch einmal: Den Kontakt zu Eltern abzubrechen, die einem Schlimmes angetan haben, ist meiner Meinung nach der letzte Akt, um sie zu ehren. Das letzte, zu dem man noch bereit ist, um den Eltern die Möglichkeit zu geben, darüber nachzudenken, was sie angerichtet haben - indem man sie verlässt. Man ehrt seine Eltern nicht, indem man immer wieder den eigenen Kopf hinhält, damit sie auf ihn einschlagen können. Vielleicht kann es irgendwann wieder zu einer Begegnung kommen. Das wäre ein schönes Ziel. Wer die Tür einen Spalt weit offen lassen kann, tut ein gutes Werk.

 

Herzliche Grüße

Frank Muchlinsky

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