Sehr geehrter Herr Pfarrer Muchlinsky,
Ich möchte mir gerne eine Bibel kaufen.
Nun habe ich gesehen, dass es sehr viele unterschiedliche gibt.
Könnten Sie mich bitte beraten, welche soll ich kaufen?
Welche ist am nächsten an der heiligen Schrift und kann gut gelesen und auch verstanden werden?
Viele Grüße
Markus
Lieber Markus,
es gibt in der Tat eine große Reihe unterschiedlicher Bibelübersetzungen, und ich gebe Ihnen gern einen Überblick über diejenigen Übersetzungen, die ich für gut und geeignet erachte. Lassen Sie mich vorher eine kleine Bemerkung machen zu Ihrer Formulierung "Welche ist am nächsten der Heiligen Schrift"? Ich nehme an, Sie meinen damit, welche Übersetzung am nächsten am hebräischen und am griechischen Urtext ist. Unsere Bibel ist allerdings nicht mehr oder weniger "heilig", je näher sie an den hebräischen oder griechischen Handschriften sind, aus denen sie übersetzt ist. Anders als das Judentum und der Islam spielt die Sprache, in der die Bibel ursprünglich verfasst wurde, keine so entscheidende Bedeutung. Der ursprüngliche Wortlautlässt sich ohnehin nicht mehr zweifelsfrei ermitteln, weil uns schlichtweg die Textgrundlagen dazu fehlen. Je älter die Handschriften sind, die uns noch erhalten sind, desto lückenhafter ist das Material. Man kann also nur vermuten, welche Handschriften vielleicht näher an dem sind, was jemand zu allererst aufschrieb. Einen verbindlichen "Urtext" gibt es nicht. Darum ist es auch angemessen, die Bibel immer wieder neu zu übersetzen, denn unsere Sprache verändert sich, und die Übersetzung darf dieser Tatsache folgen, ohne dass etwas von der "Heiligkeit" der Bibel deswegen verloren ginge.
Ein Beispiel hierfür, das mir gerade wieder über den Weg gelaufen ist, ist Psalm 22 in der Übersetzung nach Martin Luther. Luther selbst übersetzte den Vers 22: "Hilf mir aus dem Rachen des Löwen, und errette mich vor dem Einhorn." Eventuell waren Einhörner für Luther real existierende Tiere, die er lediglich noch niemals selbst gesehen hatte. Sei der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in der Lutherbibel aber das Einhorn ersetzt durch "Hörner der wilden Stiere". Für Menschen des 20. Jahrhunderts war das Einhorn eben zu einem Fabelwesen geworden, das in dem Psalm nichts mehr zu suchen hatte. Am Psalm selbst ändert diese Wortänderung nichts. Er bleibt ein kräftiger und verzweifelter Ruf nach Gott.
Nun aber zu Ihrer Frage nach empfehlenswerten Übersetzungen. Die von mir bereits erwähnte Lutherbibel ist ja anlässlich des Reformationsjubiläums gerade neu überarbeitet und herausgegeben worden. Sie hat diesen sicherlich einzigartigen Klang der Übersetzung Luthers über die Jahrhunderte bewahrt. Die Weihnachtsgeschichte klingt hier genauso, wie man sie im Gottesdienst am Heilig Abend gehört hat. Der Psalm 23 ist derjenige, den man im Konfirmationsunterricht gelernt hat. Dass Luther in seiner Übersetzung einige Fehler gemacht hat, beziehungsweise ein paar Entscheidungen getroffen hat, die dem Textbestand nicht unbedingt entsprachen, nimmt man in Kauf, wenn man eine Lutherbibel in die Hand nimmt. Echte größere Fehler wurden auch im Laufe der verschiedenen Revisionen verbessert.
Anders als die Lutherbibel wird die von der reformierten Kirche bevorzugte Zürcher Bibel immer wieder neu übersetzt, wenn es eine neue Ausgabe gibt. Man muss sich also nicht mit der ersten Übersetzung durch Zwingli abarbeiten, sondern man hat die Freiheit, immer nach dem neuesten Forschungsstand zu übersetzen. Darum schon ist die Neue Zürcher Bibel näher an dem, was wir als Urtext bestimmen können. Ihr Klang ist sachlich und verständlich, allerdings merkt man auch dieser Übersetzung an, dass der übersetzte Text eben bereits 2000 Jahre und älter ist.
Das ist der Grund, warum die Übersetzerinnen und Übersetzer der Guten Nachricht sich vor allem das Ziel gesetzt hatten, eine möglichst leicht verständliche Bibelübersetzung in heutigem Deutsch zu machen. Das ist ihnen auch gelungen. Die Gute Nachricht ist wesentlich leichter lesbar als Luther- oder Zürcher Bibel. Allerdings ging diese leichte Lesbarkeit zu Kosten der Genauigkeit. Viele Stellen sind so erzählerisch geworden, dass sie Entscheidungen und Spekulationen der Übersetzenden enthalten. Das aber tat ja auch schon Luther, wie bereits erwähnt.
Die sogenannte Einheitsübersetzung ist ebenfalls gerade neu revidiert worden. Es ist die in den katholischen Kirchen im deutschsprachigen Raum gültige Übersetzung. Daher kommt der Name "Einheitsübersetzung", weil sie für alle deutschsprachigen katholischen Gemeinden gilt. Die Einheitsübersetzung enthält wie alle anderen auch Entscheidungen, die man beim Übersetzen treffen muss. In dieser Bibelübersetzung sind diese Entscheidungen vom Vatikan getroffen. Die Übersetzung selbst ist ähnlich der Zürcher Bibel nah am Text und relativ gut lesbar. Für einen evangelischen Leser verwirrend sind manche Namen, die in dieser Übersetzung teilweise anders lauten als in der Lutherbibel.
Von diesen vier Bibeln würde ich mir an Ihrer Stelle ein aussuchen. Es gibt noch weitere Übersetzungen, die empfehlenswert sind wie zum Beispiel die Neue Genfer Übersetzung oder die Basisbibel. Beide sind sehr gut verständlich. Doch leider sind sie noch nicht vollständig, das heißt, es fehlt das komplette Alte Testament.
Vor elf Jahren erschien die Bibel in gerechter Sprache. Die Übersetzerinnen und Übersetzer in diesem Projekt trafen besonders viele Entscheidungen. Es sollte eine Übersetzung entstehen, die den Anliegen der feministischen Theologie, des jüdisch-christlichen Dialogs, der Sozialethik und der Befreiungstheologie gerecht wird. Das führte zu Formulierungen, die eine zum Teil recht heftig geführte Diskussion auslösten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen genügen Informationen geben, dass Sie sich nun entscheiden könne. In jedem Fall wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
Herzliche Grüße
Frank Muchlinsky