Hallo Herr Muchlinsky,
ich habe hier schon einmal eine Frage versendet und habe eine tolle Antwort bekommen :) Ich hätte da aber noch eine Frage! Ich selber bin kein Christ aber beschäftige mich viel mit Religion. Ich merke einfach dass viele junge Menschen sich gar nicht mehr mit deren Religion beschäftigen. Sobald aber die Konfirmation oder Kommunion ansteht tun sie so als glauben sie an Gott. Was denken Sie woran liegt das?
Liebe Frau Demircelik,
ich hab die Frage eine eine junge Frau weitergegeben. Ich denke, das passt.
Herzlich, Frank Muchlinsky
Liebe Frau Demircelik,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich für sehr spannend halte. Sie treffen damit genau den Nerv unserer Zeit und stellen die Frage, die sich sehr viele andere Menschen, vor allem in den christlichen Kirchen weiß ich davon, tagtäglich stellen.
Das Phänomen, welches Sie beschreiben, klingt, als wäre der Glaube an Gott ein An/Ausschalter. Bis zur Konfirmation oder Kommunion ist er aus und dann, ganz plötzlich, ist er an. Natürlich auch mit der spannenden Frage, was danach passiert, aber diese möchte ich aus dieser Antwort ausschließen, da man sich ihr noch einmal gesondert widmen müsste.
Ich möchte Ihnen gern auf zwei Ebenen antworten. Die erste ist eine Antwort, die auf verschiedenen empirischen Studien zur Religiosität von Jugendlichen in Deutschland basiert. Und die zweite Ebene ist meine ganz persönliche Sicht auf der Basis meiner Zeit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zur Konfirmation und in der Schule.
Zunächst zum ersten Abschnitt. Der „Religionsmonitor“ ist eine Befragung von Jugendlichen aus verschiedenen Religionen, die sich dazu äußern, für wie religiös sie sich halten. Der letzte Religionsmonitor stammt von 2013 und spricht grundsätzlich davon, dass die Jugendlichen in Deutschland weniger religiös geworden sind als in den Jahren zuvor. Sie beschäftigen sich lieber mit ihrer Familie und ihren Freunden als mit Religion oder Spiritualität. Auch von einer zuvor gängig angenommenen „Patchwork-Religiosität“, dass also Elemente aus verschiedenen Religionen zu einer „persönlichen Religion“ zusammengebastelt werden, kann man, laut dem Religionsmonitor, nicht ausgehen. So richtige Gründe, woran es aber liegt, kann der Religionsmonitor nicht ausmachen und das ist auch nicht sein Ziel. Trotzdem haben wir damit einige konkrete Zahlen, auf die wir uns beziehen können. Machen Sie sich gern selbst ein Bild davon. Unter diesem Link können Sie den Religionsmonitor als Ganzes nachlesen, wenn Sie möchten.
Es sind einige spannende Zahlen in diesem Bericht, ich kann Ihnen die Lektüre also sehr empfehlen.
Um die Zahlen des Religionsmonitors noch etwas anzureichern, möchte ich Ihnen nun auf der zweiten Ebene antworten, nämlich auf der Grundlage meiner persönlichen Erfahrung. Entscheidend für den Bezug zu einer Religion, grundsätzlich erst einmal egal welcher, ist die religiöse Erziehung und Sozialisation, die man zu Hause erfährt (so finden wir es auch im Religionsmonitor). Ich beziehe das konkret auf den christlichen Kontext, dann heißt das, wenn Eltern mit Ihren Kindern jeden Sonntag zum Gottesdienst in die Kirche gehen und die Kinder daran gewöhnt werden, dass der Gottesdienst zum Sonntag dazu gehört, dann prägt sich auch ein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche aus und die Kinder sprechen von ihrem Glauben bzw. dass sie überhaupt an Gott glauben. Das hat damit zu tun, dass man sich überhaupt mit dem Thema beschäftigt und noch dazu etwas dazu lernt. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn es um den Glauben von Kindern und Jugendlichen geht.
Mir fällt es schwer, genau zu beurteilen, ob es wirklich weniger Kinder und Jugendliche sind, die sich mit ihrem Glauben beschäftigen. Damit zweifle ich die Zahlen des Bildungsmonitors an, wie Sie sicher bereits bemerkt haben. Womöglich ist nur die Art und Weise eine andere geworden. Kinder und Jugendliche gehen vielleicht nicht mehr regelmäßig in den Gottesdienst oder besuchen andere Angebote der Religionsgemeinschaften gleich oft, sondern vielleicht verlagert sich die Religiosität der Kinder und Jugendlichen auf andere Medien, z.B. Social Media oder anderes Digitales. Ich glaube, dass sich damit die Religion und die Religiosität von jungen Menschen immer mehr in das Private verlagert und nicht mehr so offensichtlich öffentlich praktiziert wird, so dass wir es allgemein beobachten können.
Das würde auch erklären, warum viele Jugendliche zu Konfirmation und Kommunion anscheinend plötzlich religiös in Erscheinung treten, obwohl man sie vorher gar nicht so wahrgenommen hat. Vielleicht haben sie sich zuvor einfach nicht öffentlich mit ihrem Glauben präsentiert, sondern das immer bei sich im privaten Raum gelassen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meinen Eindruck der Situation gut schildern und Sie können einiges davon mitnehmen. Ich finde es sehr wichtig, dass Sie die Gesellschaft und Ihre Mitmenschen so aufmerksam beachten und sich darüber Gedanken machen, was in unserer Gesellschaft gerade passiert. Das ist wirklich eine sehr spannende Zeit, in der wir leben. Halten Sie gern weiterhin die Augen auf.
Herzliche Grüße
Pia Heu