Ich bin eine 28 jährige evangelische Christin und habe mich vor einigen Jahren als Erwachsene taufen lassen. Ich hatte damals gehofft, mich richtig für die EKD entschieden zu haben und meine Zweifel am Mut und der Wahrhaftigkeit der EKD unbegründet sind. Vor einer Weile musste ich lesen, dass die EKD Transsexualität zur Schöpfungsvariante erklärt hat bzw. will. Das ist das bisher widersprüchlichste, was meine Kirche vermeldet hat und es wird für mich zur entscheidenden Frage, ob es noch eine Kirche ist die hinter Gottes Wort und Wahrheit steht. Hier meine Gedanken zu dem Thema.
Es heißt: Gott ist perfekt und macht keine Fehler. Alles was uns von Gott gegeben ist, ist ein Geschenk. Wir sollten alles an uns annehmen, denn alles hat einen guten Grund, auch wenn sich dieser uns nicht immer sofort erschließt. Unser Körper ist heilig und Teil von Gottes Schöpfung. Man ist entweder Frau oder Mann- die beiden Körper die für eine Einheit geschaffen sind (was ein Fakt ist und keine Meinung). All das kann ich unterschreiben. Es macht Sinn, ist wunderschön und widerspricht in keiner Form dem Wort Gottes.
Wie kann es also sein, dass die gleiche Kirche die so etwas von der Kanzel predigen lässt, mir jetzt erzählen will, es wäre eine Schöpfungsvariante wenn Menschen behaupten, sie wären im FALSCHEN Körper geboren? Sich z.B. "Geschlechtsumwandlungen" unterziehen und sich härteste Medikamente in ihren eigentlich gesunden Körper werfen, um etwas darzustellen, was sie am Ende doch niemals sein können. Denn man kann sein Geschlecht ja nicht wirklich ändern. Es bleibt alles oberflächlich und künstlich. Ist es nicht ein Verbrechen gegen die Schöpfung/sich selbst? Dass die EKD das ganze (und einige andere Dinge) unterstützt, ist für mich unfassbar. Diese Menschen brauchen Hilfe und Annahme aber keinen Zuspruch für ihre gestörte Selbstwahrnehmung. Gott gibt uns kein falsches Geschlecht, das einer solchen Korrektur bedarf. Liegt das Problem nicht im Geist? Ich habe schon Predigten gehört, in denen Schönheits-OP´s verurteilt wurden aber DAS geht klar? Ist es nicht vielleicht so, das man jeden Zeitgeistmüll mitmacht, aus Angst vor einen Political Correctness Shitstorm? Oder Leute zu verlieren bzw. keine mehr gewinnen zu können? Nicht "modern" genug zu sein? Reden wir nicht mehr darüber, dass z.B. Sex und Ehe heilig sind und der schwache Geist der Menschen das Problem ist und nicht Gottes Wort, das hier und da ja angeblich nicht mehr relevant sei. Reden wir nicht mehr über Sünde und darüber, dass der menschliche Geist anfällig ist für Lügen und Verblendung. Wickeln wir uns alle in Regenbogenfahnen und basteln uns Gottes Wort so zusammen, wie es am bequemsten ist. Genau davor werden wir doch in der Bibel gewarnt. In der evangelischen Kirche versucht man mittlerweile alles zu zerreden. Nichts ist mehr heilig. Ich schäme mich manchmal sogar schon Protestantin zu sein.
Damit hier nicht gleich der Toleranzalarm losheult: Ich begegne auch solchen Leuten mit Respekt und erzähle keinem ungefragt, wie er zu leben hat und wie er sich ruinieren darf oder nicht. Ich verstehe, dass diese Menschen leiden. Aber dieses Leid sollte die Kirche anders ansprechen und Hilfe anbieten. Was diese Leute tun, ist nicht meine Angelegenheit aber wenn meine Kirche sich anscheinend nicht mehr traut, Gottes grundlegende Wahrheiten auszusprechen, dann wird das als Christin zu meiner Angelegenheit und ich muss eine Entscheidung treffen. Ich werde mich nicht einer solchen Ideologie beugen. Auch keiner die mir erzählen will, es gäbe 10 verschiedene Geschlechter (oder gar keine) und es müssten neue Pronomen verwendet werden um Leute anzusprechen etc.
Also entweder bin ich einfach zu konservativ für die evangelische Kirche und es gibt gute theologische Erklärungen, um die ich hier bitte. Oder sie wird tatsächlich zu einem angepassten, feigen und toleranzbesoffenen Haufen. Dann sollte ich zur katholischen Kirche wechseln. Eine Kirche mit organisatorischen Machtproblemen, die aber wie ein Fels, unberührt von LGBTQ- und Feministen-Gekreische, zur herausfordernden Wahrheit Gottes steht, wäre mir lieber, als eine Kirche mit falscher Lehre. Ich hoffe aber es lässt sich vermeiden.
Also noch einmal die Frage: Warum erklärt die evangelische Kirche Transsexualität zur Schöpfungsvariante?
Liebe Susann,
Danke, dass Sie in aller Ausführlichkeit Ihre Gedanken mitgeteilt haben!
Ich finde es mutig und ehrlich, dass Sie sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Sie haben als evangelische Christin hoffentlich erfahren, dass unsere Kirche Meinungsvielfalt fördert und daran arbeitet, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Prägungen und Meinungen zusammen in einer Kirche leben und Gott loben können.
Nun attestieren Sie Menschen mit einer Transidentität eine "gestörte Selbstwahrnehmung" und die Diskussionen darum als "Zeitgeistmüll" - und an dieser Stelle würde ich nun wiederum sagen, dass ich das nur schwer fassbar finde. Sie sind 28 Jahre alt und Sie leben in einer sich gerade sehr stark verändernden Welt. Viele Dinge, über die Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht gesprochen wurde, werden nun zu einem öffentlichen, gesellschaftlichen Gespräch. Und das ist gut so! Denn unsere Gesellschaft IST soweit fortgeschritten, bisherige Tabus nach und nach zu hinterfragen und abzubauen. Besonders da, wo es durch diese Tabus eine lange Geschichte von Diskriminierung und Leiden gab und gibt.
Unsere Kirche ist in diese Zeit gestellt und sie hat von ihrem Herrn Jesus Christus den Auftrag, Menschen zu sammeln und die gute Botschaft von Gottes Liebe für alle Menschen zu verkündigen - für alle ausnahmslos. Jesus selbst hat sich besonders denen zugewandt, die von anderen stigmatisiert und an den Rand gedrängt wurden. Ganz bewusst hat er sich mit denen an einen Tisch gesetzt, die für andere als "unmöglich" galten. Und so werden wir als Christinnen und Christen heute wieder vor die Aufgabe gestellt, nicht unsere (gesellschaftlich erzeugten) Urteile als unseren Handlungsmaßstab zu sehen, sondern uns für ein anderes Denken zu öffnen. Wir können Gottes Liebe nicht "portionieren" - den einen zuzusprechen, den anderen aber nicht. Wir ringen - und das tun Sie ja durchaus und sehr ehrlich - mit unseren eingeprägten Urteilen und Vorstellungen - aber wer sagt Ihnen denn, dass Gottes Liebe nicht viel größer ist, als wir es in unseren beschränkten Herzen ausdenken können?
Wie viele andere sind auch Menschen aufgrund ihrer sexuellen Neigung oder Identität lange unterdrückt und bevormundet, totgeschwiegen oder für krank erklärt worden. Damit wurde ihnen unfassbare Gewalt angetan - und Sie schreiben ja auch selbst, dass Sie verstanden haben, dass Diskriminierung Leiden bedeutet.
Ich stelle mir für die Zukunft eine Kirche vor, in der alle, die ihr Christsein in der evangelischen Kirche leben wollen, in ihr ein Zuhause finden können. Und das gilt dann auch für das Miteinander unterschiedlicher Prägungen, Identitäten und Meinungen. Wir richten nicht über Gottes Schöpfung, liebe Susann - und ich verstehe die Haltung nicht, mit der wir uns zu Hütern von "Gottes grundlegende Wahrheiten" (wie Sie schreiben) machen. Das "Wort der Wahrheit" übrigens wird uns zum Beispiel im Kolosserbrief als die Gute Nachricht genannt. (Kol. 1,5). Wie haben Sie Teil an der Guten Nachricht, liebe Susann? Nicht, in dem Sie sich auf der Ebene einer für Sie einengenden und in eine ideologische Entscheidung treibenden Diskussion bewegen, sondern in dem Sie wirklich auf dem Grund der Guten Botschaft zugehen und dieser in sich Raum geben.
Ich wünsche Ihnen befreiende Gedanken!
Herzlicher Gruß
Veronika Ullmann
P.S.: Sie haben schon viel gelesen - nehme ich an. Dennoch schicke ich Ihnen ein paar Links:
https://unsere.ekhn.de/fileadmin/content/ekhn.de/download/publikationen_broschueren/EKHN_Transsexualitaet_3Aufl_2019_web.pdf
https://www.evangelisch.de/inhalte/156032/04-05-2019/transidente-pfarrer-sebastian-wolfrum-lebensgeschichte-endlich-ich
https://www.evangelisch.de/blogs/kreuz-queer/156004/24-04-2019