Sehr geehrter Herr Muchlinsky
was geschieht mit den vielen Menschen nach dem Tode, die ihrer Kirche den Rücken zukehrten und nicht mehr an den Christengott glauben? Wenn ein Gott jene Menschen nicht mehr zu sich nimmt,
warum hat er aber trotz seine Allwissenheit und Allmächtigkeit zugelassen, das jene Menschen das Licht der Welt erblickten? Wie gehen Sie selbst mit den Menschen um, die aus der Kirche "geflüchtet" sind? Wie steht es bei ihnen mit der Toleranz? Sind nur
Christen (auch die Scheinheiligen) die besseren Menschen?
Also, wie gehen Sie selbst mit "Flüchtlingen" um?
Man muss viel gelernt haben, um über das, was man nicht weiß, fragen zu können.
(Jean-Jacques Rousseau, franz. Philosoph u. Schriftsteller, 1712-1778)
Auf Antwort hoffend
Wolfgang
Okay, Wolfgang!
Weil ungefähr ein Jahr vergangen ist, seit ich zum letzten Mal eine Ihrer provokativen Fragen beantwortet habe, soll es heute mal wieder so sein. Ich weiß ja aus Ihren zahlreichen Zuschriften und Kommentaren, dass Sie
- Christinnen und Christen gern davon überzeugen möchten, dass sie sich einer Illusion hingeben, wenn sie an Gott glauben,
- mir grundsätzlich vorwerfen, dass meine steigende Unlust, mich mit Ihren Provokationen zu beschäftigen, ein Zeichen meiner Intoleranz ist,
- Sie anscheinend Angst haben, Sie könnten – zumindest meiner Meinung nach – nach Ihrem Tod in die Hölle kommen.
Der dritte Punkt bringt mich letztlich dazu, dass ich Ihnen heute antworte. Ich hoffe immer wieder, dass Sie meine Antwort auch tatsächlich genau lesen, anstatt einfach nach Reizwörtern zu suchen, anhand derer Sie dann wiederum einen Kommentar schreiben können. Wohlan!
Meinem christlichen Glauben nach, werden alle Menschen – ganz gleich, ob sie in ihrem Christen waren oder nicht – am Jüngsten Tag mit Gott eine eingehende Unterredung haben. Sie also auch. In dieser Unterredung wird es darum gehen, ob was wir aus unserem Leben und all den Gaben, die uns Gott geschenkt hat, gemacht haben. Wer zu Lebzeiten an Gott glaubte, wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er mit diesem Geschenk etwas Gutes angestellt hat. Wer Gott den Rücken kehrte, wird sich fragen lassen, warum er das tat. Wie auch immer, ich bin mir sicher – und auch das entspricht meinem evangelisch-christlichen Glauben –, dass niemand in diesem Moment Gott vollständig zufrieden machen wird. Jeder Mensch ist wertvoll und geliebt, aber kein Mensch ist vollkommen gut. Wir alle machen, auch gegen besseres Wissen, Fehler.
Ich denke, dass es ein Fehler ist, der Gemeinschaft der Christinnen und Christen den Rücken zu kehren, darum glaube ich ja auch, dass Gott Sie danach fragen wird. Aber ich maße mir nicht an zu entscheiden, ob dieser Fehler vor Gott schwerer wiegt als andere Fehler, die man begehen kann. Das ist Gottes Sache allein. Weil also niemand vor Gott wirklich bestehen kann, brauchen wir seine Gnade, und auf die verlassen wir Christinnen und Christen uns.
Mit anderen Worten: Ihnen und mir geschieht nach dem Tod genau das Gleiche. Beide werden wir uns nicht selbst rechtfertigen können. Beide werden wir hoffentlich dennoch gerettet.
Schönen Gruß und bis in einem Jahr!
Frank Muchlinsky