Wie glaubt man richtig?

Sandra Steinmetz
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Hallo, 

ich habe meinen Glauben erst vor kurzer Zeit wiedergefunden. Deswegen habe ich viele Fragen und möchte beziehungsweise muss noch viel verstehen. Dieses Jahr war ich zur Passionszeit das erste Mal in den Passionsandachten unserer Gemeinde. Dort wurde unter anderem über die gerade gelesenen Bibelstellen geredet und sich ausgetauscht zu unseren Gedanken. Es wurde die Aussage getätigt, dass es „richtige“ und „falsche“ Christen gibt (etwas unglücklich formuliert, aber der Person fiel gerade nichts anderes ein). Richtige Christen würden beziehungsweise müssten jedem vergeben. Wirklich jedem, egal, was getan wurde, egal, wer die Person ist. Es wurde eingewandt, dass Vergebung nur funktioniert, wenn das Gegenüber auch Reue und Schuldempfinden zeigt. Seit diesem Abend denke ich immer wieder über dieses „richtige und falsche Christen“ nach. Das hat meinen frisch entfachten Glauben ziemlich durchgerüttelt. 

Kann man das so sagen? Richtig und falsch? Ich bin definitiv der Meinung, dass nur der zweite Weg, Vergebung bei vorhandener Reue, der richtige sein kann. Denn wenn ich an „Vater unser im Himmel“ glaube, muss ich ja irgendwie auch an die Hölle glauben. Und da gehören manche auch einfach hin. Wenn man Millionen von Juden umbringt und meint, man hätte Recht damit… 

Eine weitere Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist, wie glaube ich richtig? Gehe ich zu naiv an die ganze Sache ran? Gibt es bestimmte Dinge, die ein evangelischer Christ glauben oder beherzigen sollte, damit er sich auch als solcher bezeichnen kann? Denn in diesen Andachten hatte ich das Gefühl, dass ich am wenigsten über die Bibel wusste. Im Gottesdienst kann ich manchmal an ein, zwei Stellen nicht mitsingen, weil ich gar nicht weiß, was da gesungen wird. Meine Schwester wohnt in den USA. Dort sind die Kirchen ja etwas anders aufgebaut und man kann quasi wählen, ob man bibeltreu sein möchte im Glauben oder eher freier. Deswegen frage ich mich, ob es „reicht“, dass ich einfach nur an Gott glaube? Oder ob es mehr bedarf, um sich evangelisch zu nennen oder zu verhalten? Ich mag die Gottesdienste sehr, weil sie mir Kraft geben, eine Auszeit sind und gleichzeitig meinen Glauben stärken und wachsen lassen. Andererseits fühle ich mich seit diesem Gedankenwirrwarr aber auch etwas klein und/oder nicht ganz dazugehörig, weil ich vielleicht nicht gläubig genug bin oder nicht evangelisch genug. Vielleicht können Sie mir helfen? 

Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,

 Sandra Steinmetz

Liebe Frau Steinmetz,

Ihr Gefühl, sich nicht ganz dazugehörig zu fühlen, kann ich gut nachvollziehen. In meiner Konfirmandenzeit erlebte ich Gottesdienste oft als Veranstaltung für besonders Eingeweihte.

Gottesdienste werden in den evangelischen Gemeinden unterschiedlich gefeiert. Deshalb bieten viele Gemeinden zur Orientierung einen Ablauf mit liturgischen Gesängen an, damit alle mitfeiern können. Es ist typisch evangelisch, dass wir nicht überall auf die gleiche Weise feiern. Die Apostelgeschichte 2,24 und Matthäus 6,9-13 sind im Neuen Testament die einzige Hinweise darauf, wie wir Gottesdienst feiern und beten sollen. Den Grundsatz für evangelische Gottesdiensttradition bringt Martin Luther in seiner Predigt zur Einweihung der ersten evangelisch gebauten Kapelle in Thorgau (1544) auf den Punkt: In ihr solle nicht anderes geschehen „,als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang“. Darin ist wichtiges geklärt und zugleich gibt es erheblichen Spielraum!

Ebenfalls typisch evangelisch ist es, über Glaubensfragen zu diskutieren und dabei zu unterschiedlichen Überzeugungen zu gelangen. Wie sind die Bibelstellen zu verstehen? Die Bibel kann zwar nicht beliebig ausgelegt werden, dennoch gibt es auch hier Spielräume in den Interpretationsmöglichkeiten, die erhebliche Auswirkungen auf das jeweilige Glaubensverständnis haben. 

So würde ich beispielsweise die Haltung, dass „richtige“ Christinnen und Christen jedem vergeben müssen, nicht teilen. Gedanken dazu habe ich hier geteilt.

Ich denke, es steht mir nicht zu, andere Menschen nach den Kategorien „richtig“ und „falsch“ zu beurteilen. Meiner Überzeugung nach bedeutet Christsein, lebenslang auf der Suche nach Gott zu sein, der sich immer wieder neu offenbart. Als Glaubensgemeinschaft tun wir das gemeinsam.

Die Briefe des Paulus im Neuen Testament stellen eindrücklich dar, dass das Ringen um das „richtige“ Verhalten von Beginn an zu Christinnen und Christen dazugehört. Die Freiheit im Ausdruck des Glaubens, die Sie bei Ihrer Schwester in den USA kennengelernt haben, gehört zum Evangelischsein dazu. 

Der entscheidende Satz in Ihrer Frage ist: Reicht es, an Gott zu glauben? Ja, das reicht. Typisch evangelisch ist, wenn Sie sich intensiv mit Ihrem Glauben auseinandersetzen, so wie sie es bereits tun! Sie sind längst, um es mit Ihren Worten zu sagen, „evangelisch genug“.

Gott segne Ihren weiteren Glaubensweg.

Herzlichst,

Ihre Helena Malsy

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