Sind wir von allen Sünden befreit?

Andreas skipis
Hände vor Sonne im Gebet
Getty-Images/iStockphoto/doidam10
Inwiefern sind wir durch den Kreuzestod Jesu von allen Sünden befreit? Es heißt doch immer, dass Jesus für uns gestorben ist. Dann müssten wir doch keinerlei Schuldbekenntnis auf uns nehmen.

Lieber Andreas, 

Sie haben natürlich recht, eigentlich dürfte es nach Ostern keine Schuldbekenntnisse mehr geben. Denn: Jesus ist für uns gestorben. Jesus hat das Sterben, das jeder Mensch erleidet, mit seinem eigenen Leiden am Kreuz verbunden und zu Gottes Sache gemacht. Das begann allerdings schon lange vor der Kreuzigung.  Als Jesus bei Sündern zu Gast war, gegessen und getrunken hat, als er Menschen heilte, klingt im Hintergrund der Satz mit: "Dir sind deine Sünden vergeben" (z.B. Lukas 7,48). Mit der Kreuzigung überbietet Jesus seine heilende Zuwendung zu den Menschen und zeigt noch einmal auch seine Fürsorge, mit der er den Sünderinnen und Sündern begegnet. Darum: Wir sind durch Jesus befreit. 

Unerklärbar bleibt allerdings die Bereitschaft vieler Menschen, hinter Jesu Wort und seinem Wirken zurückzubleiben und trotz der Kreuzigung weiterhin Feindseligkeiten zu verbreiten, Schuld zu vermehren, satt sie zu vermindern, Angriffskriege zu führen, statt Verträge zu halten. Das wirkt alles absurd.

Manchmal denke ich: Jesu Leben, seine Bergpredigt, selbst sein Leiden und sein Sterben waren vergeblich. Der Hebräerbrief hält aber dagegen: "Er hat es nicht nötig wie jene Hohepriester, täglich zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes; denn das hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst opferte." (Hebräerbrief 7,27) Hinter dieses "ein für alle Mal" gibt es kein Zurück. Also sind wir befreit, auch wenn manches, was man erlebt, dagegen spricht. 

Die christliche Bitte lautet also: "Gott sei mir Sünder gnädig." Das sagt der Zöllner, der notorische Betrüger, über sich selbst (Lukas 18,13). Unsere Vorfahren haben mit diesen Worten und einem ausgeführten Schuldbekenntnis den sonntäglichen Gottesdienst begonnen. Für uns ist diese Bitte immer noch ein Glücksfall, wir können ja - der Glaube an Jesus bezeugt das - mit einem Übermaß an Vergebung rechnen, denn: Wir sind durch Jesus befreit. 

Wenn ich aber konkret über meine Schuld und die Schuld anderer Menschen nachdenke, sagt mir die Bitte des Zöllners: "Gott sei mir Sünder gnädig!", dass ich niemals die Summe meiner Taten sein werde, sondern ein durch und durch geliebter Mensch bin, der ausschließlich von der Gnade lebt. 

Jetzt aber möchte ich Sie vor einem Irrtum bewahren. Wenn ich ausschließlich von der Gnade lebe, dann könnte ich sagen: Ist doch gleichgültig, wie ich praktisch lebe, ich muss mich ja angesichts der Gnade Gottes nicht mehr für meine Untaten verantworten. "Das sei ferne" (Römer 6,1-2), schreibt der Apostel Paulus, denn er will, dass kein Mensch irgendein Unrecht anrichtet, denn wer Jesu Wort gehört und verstanden hat, will das Gegenteil: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (Römer 12,21)

Ich hotte, dass Sie mit meiner Antwort einigermaßen zufrieden sind,

Ihr Henning Kiene 

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