Glauben als Agnostikerin

Eva
Frau blickt auf einen See
© Lili Kovac/Unsplash

Guten Tag,

danke für diese Website, sie hat mir einen positiven Eindruck vom christlichen Glauben gegeben! Vor allem bin ich beeindruckt, mit wie viel Mitgefühl und Toleranz Sie Fragen beantworten. Ich bedanke mich schon einmal fürs Durchlesen meiner Frage.

Ich bin eine junge Erwachsene und in einer atheistischen Familie in Ostdeutschland aufgewachsen. In meiner Jugend fand ich höchstens den Buddhismus von allen Religionen noch am sympathischsten, hatte mich mit dem Christentum aber nicht wirklich auseinandergesetzt und war der Meinung, dass meine Wertvorstellungen nicht vereinbar mit dieser Religion sind. Zum Beispiel dachte ich, dass Religionen mehr spalterisches, als einendes Potential hätten und zwangsläufig konservativ sind. Ich dachte auch, dass Christentum und Wissenschaft Gegenspieler und nicht miteinander vereinbar seien. Oder dass alle Christ:innen glauben würden, dass alle Atheist:innen oder Andersgläubige in die Hölle kommen würden allein aufgrund ihres Nicht-/Glaubens. Heute sehe ich das anders und denke, dass meine Ansichten zu pauschal waren und ich vorverurteilt habe.

Seit eineinhalb Jahren bin ich in einer Partnerschaft mit einem evangelisch aufgewachsen Menschen. Dadurch wurde mein Interesse geweckt, auch wenn - oder gerade weil - er nicht versucht hat, mich zu überzeugen, auch an Gott zu glauben. Unter anderem war ich vorletztes Weihnachten das erste Mal in einer Christvesper und die Atmosphäre in der Kirche hatte mich beeindruckt. Dafür kann ich jedoch auch weltliche Begründungen finden, wie die einzigartige Architektur oder den Ablauf und die Gemeinschaft zu erleben. Später habe ich in einer Bibel im Stillen herumgelesen und mittlerweile gebetet. Ganz kalt betrachtet: Ob ich dabei mit Gott rede oder Selbstgespräche führe - ich denke, es kann sich beides psychologisch positiv auswirken. Jedoch ist mir bewusst, dass wenn ich gläubig wäre, mir das nicht gleich sein dürfte, ob mir Gott zuhört oder nur ich selbst. Und ich eigentlich Gebete nur an Gott richten kann und ich dabei nicht gleichzeitig an seiner Existenz zweifeln kann. Ich stecke gerade an einer Stelle fest, an der ich versuche, mich auf eine neue Perspektive einzulassen (ich versuche den meisten Themen mit Offenheit zu begegnen), aber den Großteil meines Lebens mit einer atheistischen Perspektive verbracht habe.

Ich habe mich also mit einer Welt arrangiert, in der:

- ich nichts außer Atome bin, wenn ich tot bin und mein Selbst dann nicht mehr existiert und ich damit eigentlich kein Problem hätte. Ich weiß aber, dass es tröstlich sein könnte, auf ein Leben mit Gott nach dem Tod zu hoffen.

- der Ursprung der Welt ungeklärt war und es gab nur ein paar wissenschaftliche Hypothesen dazu. Die wären aber mit einem Glauben vereinbar, wenn ich an Gott als erste Ursache glauben würde. Zumal der Ursprung der Welt eine interessante Frage ist, aber für mich persönlich nicht die relevanteste.

- mein Sinn des Lebens das innere Wachstum die Suche nach Glückseligkeit in der Welt und in mir selbst ist. Obwohl letztendlich auch das einem gottverbundenem Leben nicht widersprechen würde.

Ist es mein Egoismus und menschliche Selbstüberschätzung, die mich denken lässt, ich könne Erfüllung in einem Leben ohne Glauben an Gott finden? Oder weil ich ohne Glauben aufgewachsen bin? Obwohl ich ja an die Liebe und das Gute im Menschen glaube. Wiederum unterscheidet sich das vielleicht gar nicht so sehr von dem Glauben an Jesus Christus. Außerdem - ganz eigennützig betrachtet- würde ich mich eventuell seltener einsam fühlen, wäre gelassener, dankbarer und liebevoller. Eigentlich habe ich nicht so viel zu verlieren, wenn ich mich mehr auf den (evangelischen) Glauben einließe. Aber ich möchte nicht leichtfertig mit der Thematik umgehen. Mein Partner kann mir nicht helfen, da er sich seit einigen Jahren keine Gedanken mehr gemacht hat, warum er eigentlich glaubt. Vielleicht sollte ich meine Zweifel an Gott richten und schauen, was passiert. Wäre das nicht merkwürdig, wenn ich eigentlich noch nicht wirklich glaube?

Ich bin schon immer sehr interessiert in Philosophie, Ethik und Psychologie und habe Zweifel, dass wenn ich anfange zu versuchen, Gott in den Dingen zu erkennen und zu ergründen, auf ihn zu vertrauen, und dabei zu hoffen, dass er existiert; ich meine anderen Perspektiven vergessen muss. Es ist ja nicht umsonst eine Art Wiedergeburt, wenn sich jemand taufen lässt. Bisher habe ich meine Fragen immer mit Grübeln und rationalem Abwägen geklärt. Aber wie finde ich für mich selbst heraus, ob ich bereit bin, an Gott zu glauben und wie nähere ich mich dieser Frage? Vor allem, wenn es so viele Religionen gibt und auch nicht nur die Monotheistischen.

Bisher habe ich mich mit ein paar evangelischen Menschen unterhalten und bin dadurch auf unterschiedlichste Perspektiven getroffen. Das hat mir geholfen zu erkennen, dass jede Beziehung zu Gott sehr individuell ist, so wie die Menschen verschieden sind. Leider kenne z.B. auch jemanden, der homo- und transfeindliche Ansichten mit der Bibel begründet oder jemanden, der gänzlich seine Eigenverantwortung abgibt und unethisches Handeln nicht ändert, weil Gott ihn so oder so erlösen würde allein durch seinen Glauben. Ich habe Sorge, dass wenn ich z.B. einen Glaubenskurs mache, auf Menschen treffe, die mich bekehren wollen oder Ansichten haben, mit denen ich nicht mitgehen kann? Oder ich rede mit einem*r Pfarrer*in vor Ort über meine Gedanken, aber das würde mich irgendwie etwas mehr Überwindung kosten, als im Internet erstmal anonym um Rat zu fragen.

Vielen Dank für Ihre Antwort!

Liebe Eva,

herzlichen Dank für Ihre Frage! Genauer gesagt: Danke für die genaue Beschreibung dessen, was Sie in Sachen Glauben bewegt. Ich denke, dass sich viele Menschen, die das lesen, an vielen Punkten gut mit dem identifizieren können, was sie erzählen. Ich hatte bei Lesend die Empfindung, als schaue ich Ihnen bei einer intensiven Suche zu nach etwas, von dem Sie nicht wissen, ob Sie es finden dürfen.

Ich spüre eine große Sehnsucht in Ihren Zeilen nach „Erfüllung“, wie Sie es nennen. Ihr Konflikt dabei ist anscheinend, wenn ich Sie richtig verstehe, dass Sie gelernt haben, selbst dafür zu sorgen, „erfüllt zu werden“. Christlich zu glauben hieße allerdings, sich „erfüllen zu lassen“, und das entspricht nicht Ihrem Weltbild. Sie schreiben, dass Sie Ihren Lebenssinn in einem inneren Wachstum sehen. Das ist ein schöner Sinn, für den Sie allerdings selbst sorgen müssen.

Sie schreiben, dass das einem „gottverbundenen Leben nicht widersprechen würde“. Da stimme ich Ihne zu, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Vielleicht ahnen Sie es schon, ich bin der Ansicht, dass der christliche Glaube bedeutet, sich den Lebenssinn schenken zu lassen. Das ist meiner Ansicht nach der Sinn des Glaubens an einen Schöpfer, nämlich dass man von Anfang an gewollt ist, egal was man aus dem eigenen Leben macht Erst einmal steht da: Gott will dich, darum gibt es dich.

Nach Gott zu fragen bedeutet nicht unbedingt, nach Gottes Existenz zu fragen, sondern nach der eigenen Existenz. Will ich mich lediglich als eine Ansammlung von Atomen verstehen, oder will ich mich als Geschöpf sehen? Sie schreiben, dass Sie befürchten, „andere Perspektiven vergessen zu müssen“, wenn Sie anfingen zu glauben. Ich denke eher, dass man beginnt, diese anderen Perspektiven zu relativieren. Ich muss nicht mein naturwissenschaftliches Weltbild über den Haufen schmeißen, weil ich an Gott glaube, denn es geht nicht darum das Eine gegen das Andere einzutauschen. Es geht vielmehr darum, sich einer „Perspektive“, wie Sie es nennen, zuzuwenden und ihr eine Bedeutung im eigenen Leben zu geben.

Ich habe den Eindruck, dass Sie sich auch fragen, ob Sie sich das überhaupt gönnen dürfen. Dieser Satz hat mich besonders aufmerken lassen: „Außerdem - ganz eigennützig betrachtet - würde ich mich eventuell seltener einsam fühlen, wäre gelassener, dankbarer und liebevoller.“ Ich meine, man darf durchaus etwas davon haben, an Gott zu glauben. Das würde ich nicht eigennützig nennen. Es ist sozusagen ein Teil des Deals: Gott die Ehre, mir die Gotteskindschaft!

Ich weiß nicht, ob Sie bereit sind, an Gott zu glauben. Vielleicht müssen Sie das nicht einmal selbst wissen. Vielleicht werden Sie sich irgendwann beim Beten nicht mehr fragen, ob das gerade ein Selbstgespräch ist oder nicht, weil Sie ein Gegenüber merken. Auf jeden Fall aber sollten Sie keine Angst davor haben müssen, etwas aufgeben zu müssen, wenn Sie an Gott glauben.

Ich wünsche Ihnen auf Ihrem Weg weiterhin so gute und kluge Gedanken, wie Sie sie haben. Ich wünsche Ihnen weiterhin so gute Beziehungen, die Ihnen Freiheit lassen. Und ich wünsche Ihnen Leute, mit denen Sie über Ihren Glauben oder Nichtglauben oder Bisschenglauben oder Fastglauben reden können.

Ihr Frank Muchlinsky

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