Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
kürzlich stieß ich auf den Begriff "hochkirchlich". Das scheinen ja Protestanten zu sein, die "einen auf katholisch" machen. Dazu gehören nach meinen Recherchen neben einer reichen Liturgie auch die apostolische Sukzession und ein anderes Abendmahlsverständnis.
Gegen eine reiche Liturgie ist ja nichts einzuwenden, aber vertragen sich die zwei anderen Dinge überhaupt mit der evangelischen Theologie?
Sind diese Christen dann nicht den Katholiken näher als uns Protestanten?
Lieber Schwabe,
ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Sie auf die Hochkirche gestoßen sind. Das spielt insofern eine Rolle, als dass die „hochkirchliche Bewegung“ zwei Schwerpunkte und Wurzeln hat. Zum einen ist da die als „High Church“ bekannte Bewegung der Anglikanischen Kirche, die theologischen Erwägungen folgt, zum anderen gibt es eine Bewegung, die vor allem an der Liturgie interessiert ist. Die High Church ist in der Tat eine „katholisierende“ Bewegung. Sie versteht die Kirche im wörtlichen Sinne als „katholisch“, also „das Ganze betreffend, allumfassend“. Wenn man so will, negiert die Hochkirche konfessionelle Unterschiede: Die Kirche war immer noch eine Kirche und ist immer nur eine Kirche. Das damit verknüpfte Amtsverständnis (die von Ihnen angesprochene „apostolische Sukzession“, also die Weitergabe der Priesterwürde seit der Urkirche) widerspricht in der Tat einem reformatorischen Amtsverständnis, ebenso wie der besonders achtsame Umgang mit „konsekrierten“ (also geweihten) Abendmahlsgestalten (also Brot und Wein) nicht der üblichen reformatorischen Weise entspricht. Insofern haben Sie durchaus Recht, wenn sie Ähnlichkeiten zur (auch römisch-) katholischen Kirche entdecken.
Es gibt allerdings auch eine sich – wie oben erwähnt – hauptsächlich an der Liturgie interessierte Spielart, die (nicht ganz korrekt) als hochkirchlich bezeichnet wird. Der „Liturgischen Bewegung“ des 19. Jahrhunderts ging es darum, die gottesdienstliche Liturgie neu zu entdecken und verdrängte Formen wiederzubeleben. Diese alten (häufig gregorianischen, teilweise lateinischen) Stücke innerhalb einer protestantischen Kirche muten katholisch an, sind es aber im Grunde nicht, weil es der Bewegung eher darauf ankommt, den Gottesdienst so zu feiern, dass die Unterschiede der konfessionellen Liturgien abgebaut werden. Die „Liturgische Bewegung“ erfasste also auch die katholische Kirche.
Ich grüße Sie herzlich und empfehle die einschlägigen Wikipedia-Artikel: Liturgische Bewegung, Hochkirchliche Bewegung und High church (letzterer auf Englisch).
Frank Muchlinsky