Lieber Herr Muchlinsky, ich bin katholisch getauft, zur Kommunion gegangen und auch gefirmt, Messdienerin, Gruppenleiterin in der Firmvorbereitung und im Pfarrgemeinderat gewesen - habe also die klassische kirchliche Sozialisation erlebt. Doch der Funke springt für mich im katholischen Gottesdienst schon lange nicht mehr, egal in welcher Gemeinde ich daran teilnehme. Da geht es mir wie vielen anderen Gläubigen. Ich bin nun 23 und habe das große Glück, dass ich eine gute Beziehung zu Gott habe, an der ich gerne festhalte. Doch ich habe das Gefühl, dass mich meine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und die Teilnahme an den Gemeindeaktivitäten immer weiter wegtreibt vom Glauben. Ich kann im Gottesdienst nicht richtig beten, mit dem Opfergedanken und der Fokussierung auf Sühne und Leid sowieso nicht viel anfangen. Deshalb denke ich schon lange darüber nach evangelisch zu werden, weil ich die Gottesdienste dort als viel weltoffener und lebensbejahender, pragmatischer erlebe. Und der Weg zu Gott mir dort einfacher erscheint, weil er nicht durch Heilige und die Marienverehrung erschwert wird (um für mich zu sprechen). Ich schlage mich schon lange mit dem Gedanken zu konvertieren herum und habe mich schon mit Freunden und Familie ausgetauscht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich um im Glauben zu bleiben eine andere Gemeinschaft suchen soll. Haben Sie Tipps für mich, wie ich am besten den Zugang zum evangelischen Glauben finden kann? Kann ich als getaufte Katholik denn je "richtig" evangelisch sein? Banale Fragen, die für mich von großer Bedeutung sind. Ich freue mich von Ihnen zu hören, Herr Muchlinsky, und schicke herzlichen Dank und viele Grüße Franziska
Liebe Franziska,
das sind keineswegs banale Fragen, weil sie für Sie von glaubens- und damit lebensbestimmender Bedeutung sind. Gern antworte ich Ihnen dazu.
Die Taufe ist in allen christlichen Kirchen untereinander anerkannt, von daher sind Sie auf jeden Fall formal „richtig“ evangelisch, wenn Sie sich dafür entscheiden, zu einer evangelischen Kirche zu gehören. Die Frage, die ich in Ihren Zeilen höre, ist eher, ob Sie mit einer katholischen Biografie einen für Sie passenden Platz in der evangelischen Kirche finden können, manche sagen: „eine Heimat“. Evangelische Biografien und Gemeinden sind vielfältig. Sie berichten von „weltoffenen, lebenbejahenden, pragmatischen“ Gottesdiensten, die Sie erlebt haben. Möglicherweise bieten die Gemeinden, in denen Sie diese Erfahrungen gemacht haben, für Sie auch weitere Anschlussmöglichkeiten. Sie selbst werden am besten wissen, ob Sie am ehesten Zugang zu einer Sache über Veranstaltungen, persönliche Gespräche oder durch Texte bekommen. Vielleicht ist es auch ein bestimmter Glaubenskurs oder ein Gesprächsangebot einer Kirchengemeinde, was Ihnen weiterhilft. Ansonsten: Probieren Sie es einfach aus und finden Sie heraus, wo Ihre Fragen, Themen und Anliegen für Sie auf hilfreiche Resonanz stoßen. Grundsätzlicher Natur ist meine Anregung, in Fragen der religiösen Beheimatung wirklich den eigenen Impulsen zu trauen: Wenn Sie in einem Umfeld den Eindruck haben, dass dort Ihre Themen dauerhaft und systematisch kein Gehör finden, sollten Sie schauen, was Sie daran ändern können.
Gute Wege wünscht Ihnen