Was bedeutet Gebet für Sie?

Mathias

Hallo Herr Muchlinsky, ich habe eine wechselhafte Geschichte im Glauben hinter mir, von der Position eines geistlichen Leiters in der offenen Jugendarbeit bis zu den Momenten, in denen ich rief: "Tut mir leid, ich kann einfach nicht mehr glauben!" war alles dabei. Ich habe gepredigt und verflucht. Und nun bin ich in einer Phase der Neufindung. Ich finde viel Heilsames in den Interpretationen von Eugen Drewermann zum Thema Glauben und Gott, aber brauche auch die Mystik des gekreuzigten und auferstandenen Herrn als Sohn Gottes. Worin ich immer wieder an meine Grenzen komme, ist das Thema Gebet und Segen. Man kann mit Vernunft das Beten runterbrechen auf eine Art Meditation, mit esoterischem Gedankengut auf das Senden und Empfangen „positiver Energie“. Aber in der Tradition des christlichen Glaubens, den ich erfahren habe (Evangelisch-lutherisch, in der Jugendzeit durch den CVJM) ist Gebet Gespräch mit Gott, Bitten und erhört werden. Aber wer wird erhört? Natürlich kann man immer wieder von „Gebetserhörungen“ lesen, aber andererseits kann ich nicht mitbeten, wenn ein Pastor Gott bittet, das Leid in der Ukraine oder sonstwo zu beenden, weil ich weiß, das wird nicht geschehen. Da können wir uns die Seele aus dem Leib beten. Es wird keinen Effekt haben. Umso lächerlicher erscheint es mir, wenn Menschen es als Gebetserhörung interpretieren, wenn auf einem christlichen Festival schönes Wetter ist. Genauso beim Segen. Wenn ich jemandem Gottes Segen für eine lange Reise wünsche, habe ich kein Vertrauen, dass dieser geliebte Mensch auch behütet wird. Was geschehen wird, wird geschehen, sei es ein Unfall, oder sonstwas. Warum sollte ich beten und segnen, wenn, bildlich gesprochen, Gott sowieso tut, was Er will und meine Liebe, das Leid vieler Menschen, und unser aller Gebet ohne Bedeutung bleibt. Gott greift nicht ein und behütet niemanden. Unschuldig inhaftierte, gefolterte usw. können beten wie sie wollen. Gott wird nicht, wie in der neutestamentarischen Geschichte, die Tore der Gefängnisse öffnen. Diese Menschen werden einfach, entschuldigen Sie die Härte, verrecken. Welches Versprechen liegt für Sie im Gebet?

Lieber Fragesteller,

manche Dinge sind zu klein, um sie im Gebet zum Thema zu machen, andere zu groß. Auf dem Gebet liegt das Versprechen der Anwesenheit Gottes im Hören. Dass Gott bei dem betenden Menschen ist und bei den Menschen, für die gebetet wird. Damit wird sich nicht jedes „Tor“ öffnen. Aber doch öffnen sich Menschen auch Tore – ohne dass wir „beweisen“ können, ob Gott am Werke war oder nicht. Betenden Menschen mag es aber helfen, bei sich öffnenden Toren oder in einer schwierigen oder gar lebensbedrohlichen Situation zu wissen, dass Gott nicht abwesend ist, sondern sich auch gerade dann mit uns Menschen solidarisiert. Außerdem scheint es mir für das Christentum wesentlich zu sein, dass wir wissen, dass Christenmenschen füreinander beten – das hilft denen, die es (aktuell) nicht können, oder dann, wenn einem selbst die Worte größer zu sein scheinen als das, was man selbst sagen kann. Ob Gottes Handeln sich durch betende Menschen erfüllt, können wir nicht sagen, wohl aber wissen, dass Gott auch durch das Gebet an uns tut, was ansonsten allgemein gilt: dass Gott seine Verheißung erfüllt, und sei es dadurch, dass sein Geist selbst in unseren Worten und unserem Schweigen mitspricht.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Friederike Erichsen-Wendt, Pfrin.
 

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