Eigenlob wegen Schwachheit?

Andrea W.
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Lieber Herr Muchlinsky,
in meinem Urlaub konnte man sich in einer Kirche einen Bibelspruch mit auf den Weg nehmen, was ich sehr schön finde. Nun habe ich aber einen Spruch erwischt, den ich nicht so richtig verstehe, auch wenn ich inzwischen zu Hause schon den ganzen Absatz im Zusammenhang gelesen habe. Es ist aus dem 2. Korintherbrief 12,9: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit." Ich verstehe, dass wir uns als Christen nicht aus unserer eigenen Stärke oder dem Glauben heraus das ewige Leben verdienen können, sondern dass wir auf die Gnade Gottes vertrauen. Und dass Jesus ein schwacher Mensch wurde und sich darin seine Kraft vollendet hat. Ist das mit diesem Spruch gemeint? Aber vorher schreibt Paulus, dass er darum gebetet hat, dass ein Engel des Satans von ihm weiche. Wie passt denn da bitte das Zitat als Antwort darauf? Und danach will sich Paulus seiner Schwachheit rühmen. Sollte man sich einer Schwachheit rühmen? Schwachheit annehmen kann ich mir ja noch vorstellen...Können Sie bitte schreiben, wie Sie diese Bibelstelle verstehen? Ich finde die Erklärungen auf dieser Seite immer wirklich hilfreich und gut verständlich. Vielen Dank schon jetzt! MfG

Liebe Frau W.,

in der Tat erscheint die Textstelle in 2.Kor 12 ein wenig wirr. Das hat allerdings einen guten Grund, denn Paulus will es genauso haben. Um das zu verstehen, müssen wir ein wenig früher im Text anfangen zu lesen. Paulus setzt sich in seinem Brief mit seinen Gegnern in Korinth auseinander, die ihm anscheinend vorwerfen, er sei schwach und würde nicht genügend prophetisch begabt sein. Ab 2.Kor 11,16 lässt sich Paulus auf eine Art Wettstreit mit den Gegnern ein. Die scheinen enorm zu prahlen. "Sich rühmen" übersetzt Luther das. Paulus schreibt nun: Ihr nennt mich einen Narren? Nun gut, dann mach ich mal bei eurer Narretei mit und fange an, zu prahlen, was das Zeug hält. Ich zitiere im Folgenden aus der Neuen Züricher Übersetzung, weil sie noch etwas besser verständlich ist als der Luthertext:

"Ich sage es noch einmal: Niemand soll mich für einen Narren halten! Wenn aber doch, dann nehmt mich an wie einen Narren, damit auch ich mich ein wenig rühmen kann. Was ich jetzt sage, das sage ich nicht im Sinne des Herrn, sondern in der Rolle des Narren rede ich, bei diesem Unterfangen, da es ums Rühmen geht. Weil so viele sich im Sinne der Welt rühmen, werde auch ich mich rühmen." (2.Kor11,16-18)

Und dann fängt er an, all das aufzuzählen, was ihm widerfahren ist, weil er für Jesus Christus unterwegs ist. Mit dem Beginn von Kapitel 12 wird Paulus noch drastischer in seinem "Eigenlob", von dem er immer wieder sagt, dass es sinnlos ist. Er spricht von Erscheinungen Jesu und beschreibt die so, als wären sie einem anderen widerfahren. Anscheinend hatten auch seine Gegner in Korinth mit solchen Erscheinungen und Entrückungen geprahlt. Dann bricht Paulus den sinnlosen Wettstreit darüber, wer die besseren spirituellen Erfahrungen gemacht hat ab: "Was mich selbst betrifft, will ich mich nur meiner Schwachheit rühmen" (2.Kor 12,5) Anscheinend leidet er unter heftigen Schmerzen. Und er interpretiert die so, dass Gott ihm diese Schmerzen geschickt hat, als Mahnung dafür, sich eben nicht mit seinen Taten zu brüsten: "Darum wurde mir, damit ich mich nicht überhebe, ein Stachel ins Fleisch gegeben, ein Satansengel, der mich schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich den Herrn dreimal gebeten, er möge von mir ablassen." (2.Kor 12,7b-8)

Im Gebet zu Christus hat Paulus dann die Antwort bekommen, die er in dem von Ihnen zitierten Satz wiederholt: "Du hast genug an meiner Gnade, denn die Kraft findet ihre Vollendung am Ort der Schwachheit." (2.Kor 12,9) Sie haben ganz Recht: Weil auch Jesus gelitten hat, fühlt Paulus dessen Nähe im eigenen Leiden. Und er zieht die Konsequenz daraus: Wenn Paulus in seiner Schwäche nahe bei dem gekreuzigten Jesus Christus ist, kann ihm diese Schwäche niemand vorwerfen. Im Gegenteil! In dieser Schwäche wird seine Stärke sichtbar. So kann er schließlich schreiben: "Darum freue ich mich über alle Schwachheit, über Misshandlung, Not, Verfolgung und Bedrängnis, um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." (2.Kor 12,10)

Ich hoffe, ich konnte für ein wenig Entwirrung sorgen und grüße Sie recht herzlich!

Frank Muchlinsky

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