Hat Gott mein Leben in einem Buch schon längst aufgeschrieben?

Anonym
 Gottes Buch
©Getty Images/iStockphoto/krisanapong detraphiphat

Lieber Herr Muchlinsky,

mich interessiert Ihre Meinung zu folgendem Bibelvers:
Psalm 139,16:
Als ich gerade erst entstand, hast du mich schon gesehen. Alle Tage meines Lebens hast du in dein Buch geschrieben – noch bevor einer von ihnen begann!

Bedeutet das, dass Gott schon vor meiner Geburt alle meine Entscheidungen in ein Buch geschrieben hat? Was ich mich in dem Zusammenhang auch frage ist: Hat Gott dann das Todesdatum schon festgelegt und sozusagen mein Schicksal schon besiegelt? Das kann ich mir aber irgendwie nicht vorstellen. Eher denke ich, dass wir mit unseren Entscheidungen unser Schicksal selbst schreiben und Gott steht über dem ganzen und sieht, wohin unsere Entscheidungen zukünftig führen (mit seinem göttlichen Weitblick).

Aber der Bibelvers bringt mich ganz durcheinander, weil es da heißt, dass meine Tage schon im Buch stehen - so als ob ich da überhaupt keinen Einfluss drauf habe.

Wie ist ihre Meinung dazu?

Danke für Ihre Antwort :-)

Herzliche Grüße

Liebe Fragestellerin,

Sie haben Ihre Frage teilweise ja schon sehr gut für sich beantwortet!

Dennoch verwirrt Sie das Bild vom "Buch des Lebens".

Ja, das Bild vom "Buch" könnte Angst einjagen. Es gibt die alte Mär vom Buch, das Nikolaus mit sich trägt und in dem geschrieben steht, was Kinder im vergangenen Jahr getan haben. Die Vorstellung, dass in einem Buch alle unsere Taten aufgeschrieben sind und dann am jüngsten Tag über sie gerichtet wird oder dass die Namen in einem Buch bei Gott niedergeschrieben sind, diese Vorstellung begegnet an verschiedenen Stellen in der Bibel, unter anderen auch in der Offenbarung (u.a. Kapitel 17 und 20).

 Ich finde, dass in den Versen von Psalm 139 sich das Vertrauen ausdrückt, dass eben NICHT zu Buche schlägt, was ich falsch oder richtig mache, sondern dass vielmehr umgekehrt mein Leben in "Gottes Buch" aufgehoben ist - so ähnlich, wie das Bild vom menschlichen Leben, das in die Hände Gottes eingezeichnet ist (Jes. 49,16)

Das Bild vom im Voraus aufgeschriebenen Leben, das uns so reizt und uns einige schwierige Gefühle beschert, nimmt uns nicht die Handlungsfreiheit weg - das finde ich ganz wichtig.

Etwas, das aufgeschrieben ist,  braucht einen Leser, eine Leserin, um lebendig zu werden. Und in jedem Leser und in jeder Leserin haben die Worte eine andere Bedeutung. Das kennen Sie von der Situation, wenn Sie sich über Gelesenes mit anderen austauschen und feststellen, dass Sie sehr unterschiedliche Leseerfahrungen gemacht haben, obwohl Sie dasselbe gelesen haben.
Dass der Leser und die Leserin das Geschriebene allererst lebendig machen, das gilt auch für die in Gottes Buch geschriebenen Tage. Wir füllen die von Gott geschenkten Tage hier in der Welt mit Leben. Gott, der uns bis in unser Innerstes kennt, legt viele Entscheidungen und Möglichkeiten er in unsere Hände. Und nichts gerät in Vergessenheit - auch das ist ein Aspekt des "im Buch aufgeschrieben sein". 

Herzliche Grüße!

Veronika Ullmann

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