Sündenfall, der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens

Melitta Draser

Was bedeuten diese zwei Bäume für uns als Christen?
Was bedeuten sie für unser Leben? Und welche Verbindung
haben sie zum Neuen Testament?

Liebe Melitta,

am Anfang der Bibel sind einige uralte Erzählungen aufbewahrt. In ihnen klingen Erinnerungen und Erfahrungen an, die die Menschheit verbinden. Das Motiv eines Baumes, des Wachsens, der Früchte und dem Essen der Früchte ist für eigene Interpretationen offen. Das Bild vom Wachstum, der Baumkrone, dem Blattwechsel und den Früchten regt die Fantasie an. Man kann über die Jahreszeiten des Lebens und Fruchtbarkeitsriten, über falsche Früchte und Verbotenes spekulieren.

In der Bibel sieht man auf den ersten Blick den Garten Eden, der im 1. Buch Mose von Gott erschaffen wird. Der Mensch, ebenso Schöpfung Gottes, lebt in diesen Garten. In dem Garten wachsen viele Bäume. Die sind, so die Bibel, lieblich anzuschauen und die Früchte sind gut zu essen. Zwei der Bäume werden hervorgehoben. Es ist der Baum des Lebens, der in der Mitte des Gartens wächst und der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (1. Mose 2,9). Von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen darf der Mensch nicht (1. Mose 2,17) essen. Die Schlange allerdings verführt den Menschen. Adam und Eva verstoßen gegen das Verbot. Jetzt ist allerdings nur von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen die Rede. Dieser Baum, so die Bibel (1. Mose 3,3), steht, anders als in 1. Mose 2,9 jetzt in der Mitte des Gartens.

Von dem Baum des Lebens ist nicht mehr die Rede. Diese Ungenauigkeit lässt sich einfach erklären. Die Geschichten wurden zunächst mündlich überliefert, dann schriftlich aufgezeichnet. Die unterschiedlichen Erzählungen wurden harmonisch zusammengefügt. Der Baum des Lebens war bei der Übertretung des Gebots nicht mehr so wichtig, also ließ man ihn unerwähnt und rückte den anderen Baum in den Mittelpunkt. Kurz: Für den „Sündenfall“ kann man diese kleine erzählerische Ungenauigkeit hinnehmen.

Auf den zweiten Blick erkennt man, dass sich hier im 1. Mose 2-3 unterschiedliche Themenkreise überschneiden. Die Bäume stehen für das Thema Leben, den beständigen Wechsel, der sich im Zyklus von Blüte zu Frucht andeutet und das andauernde Wachstum. Es geht um die Unsterblichkeit, denn Bäume können deutlich älter als Menschen werden (siehe Jes 65,22) Auch eine sexuelle Komponente klingt im Wort „Erkennen“ an. Menschliche Fortpflanzung sichert dem Menschen eine Art Unsterblichkeit und garantiert das Fortdauern und Wachsen des Menschengeschlechts.

Ich finde, die Bedeutung, die Bäume für unser Leben haben, muss jede und jeder selbst herausfinden. Der Schutz des Blätterdaches als Erinnerung an Psalm 91 zu lesen, liegt nahe: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“

Im Mittelalter interpretieren Künstler das Kreuz Jesu als Lebensbaum. Die Darstellung des Kreuzes als Stamm, der Zweige, die Blätter hervorbringen, verbindet das Symbol Kreuz, das für das Sterben steht, mit dem Symbol Baum, der für das Wachstum steht. Der Tod Jesu legt den Keim zu neuem Wachstum. Oder: Die Auferstehung Jesu Christi eröffnen die seit Urzeiten verschlossenen Pforten des Garten Edens. Der Zugang zum Baum des Lebens ist mit Jesu Auferstehung wieder freigegeben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich weiß, es bleibt vieles noch zu vertiefen, aber ein Tipp: In der St.-Lorenzkirche in Nürnberg kann man so ein Lebensbaumkreuz betrachten, es ist eine Meditation zum Paradies und zum Osterglauben, in die man hier hineingerät.

Ihr Henning Kiene, Pastor auf Usedom

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