Braucht es eine Berufung?

Ruth
Mann schuat erfreut ins Licht aus dem Fenster
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Braucht man um Pfarrer zu werden zwingend ein Berufungserlebnis?

Liebe Ruth, 

auf Ihre Frage antworte ich gerne. Ich hoffe sehr, dass Sie (oder jemand in Ihrem Umfeld)  mit dem Gedanken spielen, Theologie zu studieren. Theologie ist ein wunderbares Fach. Es ist inhaltlich weit angelegt, führt von historischen Themen, die über 2500 Jahre im Blick haben, zu systematischen Fragestellungen, die die Gegenwart betreffen und sucht dann nach praktisch-theologischen Anwendungen. Für dieses Studium braucht es kein besonderes Berufungserlebnis, es braucht Interesse und Neugier, viel Verstand und Freude, sich mit den Herausforderungen des christlichen Glaubens auch intellektuell zu befassen. Das Theologiestudium an den staatlichen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen ist allen Personen, die die allgemeine Hochschulreife erworben haben, zugänglich. Zum Theologiestudium reicht ein inhaltliches Interesse, es braucht kein besonderes Berufungserlebnis. Doch zeigt ein Interesse an einem Thema und an der Theologie möglicherweise auch, dass der Mensch, der sich interessiert, bereits eine Berufung erlebt hat.   

Die Reformation kannte den Gedanken, dass jeder Mensch berufen ist. Martin Luther war davon überzeugt, dass Gott jeden Menschen zu seiner Aufgabe beruft und begabt. Er dachte an das Handwerk und an das bäuerliche Leben und die Berufe des ausgehenden Mittelalters. Heute kann man sagen: Gott beruft zur Fußballtrainerin, zum Arzt, zum Altenpfleger, zur Schulleiterin, zur Influenzerin, zum Prädikanten und natürlich auch zum Pfarrberuf. Pfarrerinnen und Pfarrer sind also - wie alle in ihren Berufen - zu ihrem Dienst berufen aber die Berufung in den Pfarrberuf gleicht der Berufung in den Dienst als Bauer, Schäferin und Kutscher. 

Für den Pfarrberuf braucht es - wie in jedem Beruf - ein Zusammenspiel der eigenen Talente, die in die Richtung dieses Berufes weisen. Man spricht von einer "inneren Berufung". Wer gerne mit Menschen kommuniziert, sich sprachlich mitteilen kann, wer mutig in offen, auch unbekannten Situationen besteht, wer die Öffentlichkeit nicht scheut und intellektuell begabt ist, dürfte es im Pfarrberuf leichter haben als der introvertierte, stille Charakter. Es gibt also Hinweise in der eigenen Biographie, die als "innere Berufung" vor dem Studium bei einer Entscheidung zum Pfarrberuf mitwirken. Wer sich für den Pfarrberuf interessiert, wird sich immer fragen müssen, ob der eigene, der persönliche Glaube, in diesem Beruf auch tragen kann. Ich könnte meinen Pfarrberuf nicht ausüben, wenn ich nicht wüsste, dass das Gebet mich trägt und der Glaube mir inneren Halt gibt. "Innere Berufung" ist ein Prozess, in dessen Verlauf jemand erkennt, ob und wie eine Berufung in das Amt der Pfarrerin oder des Pfarrers passen könnte. Übrigens: Körperlich sollte man als Pfarrerin und Pfarrer auch fit sein. 

Zum Pfarrberuf gehört aber auch die "äußere Berufung". Die Kirche, bei uns in Deutschland sind das die Landeskirchen, beruft in den Dienst der Kirche. Niemand darf in der Kirche öffentlich predigen, der oder die nicht ordentlich berufen ist. Damit eine solche Berufung ausgesprochen werden kann, finden Prüfungen statt, Wissen wird abgefragt, die Praxis wird getestet. Es geht um die Auskunftsfähigkeit bei theologischen Themen, den Umgang mit Menschen, die Auslegung biblischer Texte, die Befähigung zu unterrichten. Und wer sich auch in der Praxis bewährt hat, wird von der Kirche in ein konkretes Pfarramt berufen und kann den Pfarrberuf ausüben. 

Es geht also nicht um ein einmaliges Berufungserlebnis, auf das man sich später besinnen kann und durch das ich mich für meinen Beruf legitimierten kann. Um Pfarrerin oder Pfarrer zu sein, geht es zuerst um die innere Disposition und dann, oftmals Jahre später, um eine - auch - formale Entscheidung einer Landeskirche, die genau diese Person in den Dienst nimmt. 

Eine Bitte: Berufungserlebnisse sind wichtig, aber sie lassen sich nicht erzwingen. Bleiben Sie gelassen, manche Berufung ist so leise und zart, dass die Berufenen sie erst viel später erkennen.

Herzlich,

Ihr Henning Kiene 

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