Guten Tag,
und vielen Dank erst einmal für dieses Forum, ich habe schon sehr viele wertvolle Gedanken für mich finden können. :-)
Nun zu meiner Frage: Ich bin christlich aufgewachsen und fühle mich auch sehr wohl mit meinem Glauben. Nur verunsichert mich eine Sache ziemlich.
Ein Freund von mir ist Muslim und meinte, dass nach seinem Glaubensverständnis der Islam am "logischsten" ist, alleine weil er jünger ist als das Christentum. Wie eine überarbeitete Version, in der Allah ganz direkt im Koran "diktiert" hat, was die Menschen vorher richtig und falsch verstanden haben.
Ist Muhammad aber nur eine historische Figur oder könnte er nicht auch als weiterer Prophet gesehen werden?
Und weil er das ja für Christen nicht ist, glauben wir dann, er hat sich alles nur ausgedacht? Wie könnte ich das denn meinem muslimischen Freund wertschätzend erklären? Denn ich möchte ja nicht beurteilen welche Religion richtig oder falsch ist, andererseits ja aber auch klar erklären, warum ich Christin bin und nicht Muslima.
Vielen Dank schon einmal und liebe Grüße
Liebe Anna,
Danke für die liebe Rückmeldung! Ich will gern versuchen, auch diese Antwort so zu schreiben, dass Sie Gedanken darin finden, die wertvoll für Sie sein können. Schön auch, dass Sie nicht nur einen muslimischen Freund haben, sondern mit ihm auch über Ihren und seinen Glauben sprechen!
Was Ihr Freund da gesagt hat, entspricht dem muslimischen Selbstverständnis: Der Islam ist demnach Gottes (Allahs) Korrektur zum Judentum und zum Christentum, die die ursprüngliche Offenbarung (die Tora) nicht vollständig richtig verstanden haben. Darum wurde – wie gesagt: nach muslimischem Verständnis – der Koran direkt und wortwörtlich an Muhammad diktiert.
Nach christlicher Ansicht ist das aber nicht möglich, weil sich Gott nach dem christlichen Verständnis in Jesus Christus endgültig offenbart hat. Es kann darum auch keine Propheten mehr nach ihm geben. Lediglich Interpretationen der Bibel sind möglich, keine "Neuausgaben".
Diese beiden Haltungen von Christentum und Islam können nicht miteinander in Einklang gebracht werden. Wer sagt, Muhammad sei "ein Prophet" gewesen, macht ihn für die Muslime zu klein, denn er war "der" Prophet nach ihrem Verständnis. Für Christen macht dieser Satz Jesus Christus zu klein, denn nach ihm kann nichts mehr kommen.
Nun sind das alles Aussagen des Glaubens. Es sind "Bekenntnisse". Es gibt in Religionsfragen keine übergeordnete Instanz, die darüber entscheiden könnte, welche Religion richtiger wäre. Keine Religion ist logischer als die andere, denn alle beruhen sie auf Bekenntnissen. Bekenntnisse sind aber grundsätzlich Ich-Aussagen. Auch wenn sie nicht immer so formuliert sind, so sind es doch alles Aussagen, die jemand von sich, vom eigenen Glauben macht.
Wenn nun zwei Menschen etwas bekennen, das dem Glauben des Gegenübers widerspricht, so können beide Seiten zunächst feststellen, dass sie unterschiedlich glauben. Man kann einander erklären, warum sie den eigenen Glauben für den richtigen halten. Das ist nur dann ein Problem, wenn der eigene Glaube es verbietet, die anderen so zu akzeptieren, wie sie glauben. Das muss aber weder im Christentum noch im Islam so sein.
So lange man sich gegenseitig sagt, warum man selbst den eigenen Glauben lebt und dabei akzeptiert, dass das gegenüber das anders glaubt und lebt, ist dieser Dialog voller Respekt und kann ein wundervolles Training dafür sein, wie man gut miteinander umgehen kann, wenn man nicht derselben Meinung ist. Wenn es beim Reden mal schwierig wird, kann man darauf achten, die eigenen Sätze zu beginnen mit: "Ich glaube …!" oder "Für mich bedeutet …"
Es sollte im interreligiösen Dialog nicht darum gehen, die andere Seite davon zu überzeugen, dass sie im Unrecht ist, sondern man sollte einander erzählen, warum uns der eigene Glaube guttut. Aber das können wir einander auch durchaus erzählen. Es ist keine Beleidigung, wenn ich nicht bekenne, dass Muhammad nach meinem Glaubensverständnis kein Prophet war. Ebenso wie es keine Beleidigung ist, wenn mir ein Muslim sagt, dass nach seinem Bekenntnis Jesus nicht der Sohn Gottes ist. Wenn man hier einmal übereingekommen ist, dass man keinen Kompromiss in dieser frage finden kann, kann man anfangen, die Gemeinsamkeiten zu suchen.
Judentum, Christentum und Islam haben ausgesprochen viele Übereinstimmungen, die lebensentscheidend sein können: Wir glauben, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist. Wir glauben, dass unser Leben Regeln braucht, die wir einhalten sollen. Wir glauben, dass wir Vergebung nötig haben, wenn wir es nicht schaffen, diese Regeln einzuhalten. Wir glauben, dass das, was andere vielleicht "das Universum" nennen, einen Namen hat, den wir verehren. Wir glauben, dass sich dieses unendlich Große für uns interessiert. Und so weiter und so fort. Wer Unterschiede und Gegensätze aushalten kann, kann Gemeinsamkeiten feiern.
Ganz herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky