Sehr geehrte Frau Erichsen-Wendt, ich habe auf evangelisch.de gelesen, dass im September 2012 in der Geminde Eppertshausen ein Online-Abendmahl stattfand. Ist dies möglich? Wie ist die Meinung der EKD dazu? Vielen Dank für Ihre Antwort Beste Grüße Alex Seitz
Anmerkung vorweg im Jahr 2020
Der folgende Text bezieht sich auf eine Anfrage nach einer konkreten Online-Abendmahlspraxis aus dem Jahr 2012. Der Text selbst stammt aus 2013. Aus meiner Sicht wird man vieles, was ich damals grundsätzlich deutlich zu machen versuchte, heute auch noch so sagen können. Allerdings stellt sich die Lage gegenwärtig angesichts der pandemischen Krise, in der wir uns befinden, auch anders dar: Derzeit wird keine individuelle Ausnahmesituation diskutiert, sondern grundsätzlich die Frage, welche Rolle die gemeinsame physische Anwesenheit der Abendmahlsfeiernden an einem Ort spielt. Dabei sind auch andere Themen berührt, die im damaligen Text keine Rolle spielten, etwa: In welcher Weise ist die Mitwirkung ordinierter Geistlicher wesentlich für das Abendmahl?
Macht es einen Unterschied, dass eine Lebensgemeinschaft sich in einem Haushalt um Brot und Wein versammelt oder je Einzelne? Verhielten sich die kirchlichen Institutionen zwischenzeitlich zurückhaltend, was hybride oder digitale Vermittlungswege des Abendmahlsgeschehens anging, geraten diese Einschätzungen unter den Bedingungen der Corona-Krise unter Druck. Gerade angesichts der anstehenden Feiertage wie Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern mit ihrer jeweils z.T. spezifischen Abendmahlsfrömmigkeit, will man doch Wege finden, Menschen auch in ihren alltäglichen Kommunikationswegen zu erreichen. Kontaktverbote und Beschränkungen, den öffentlichen Raum zu nutzen, erzwingen, Alternativen zu denken. Kreative Lösungen im regiolokalen Kontext gewinnen an Bedeutung. Digitales kommt vermehrt in den Blick. Landeskirchliche Arbeitsstellen erarbeiten Handreichungen, die verschiedene Situationen der Abendmahlsfeier unter Bedingungen von physical distancing thematisieren (z.B.: https://kirchejetzt.de/abendmahl-zu-hause/).
Vermutlich werden diese Angebote vor allem für zwei Zielgruppen interessant sein: Zum einen für diejenigen, für die eine häufige, regelmäßige Abendmahlsfeier wesentlich zu ihrer Glaubenspraxis gehört und die es für sich nicht für zumutbar halten, diese Krisensituation "durchzuhalten" oder gar Abendmahlsabstinenz als "Fasten" zu verstehen. Zum anderen denke ich an Menschen, die keinen expliziten christlichen Traditionsbezug haben, denen sich religiöse Kommunikation aber gerade durch die elementare Dinglichkeit von Brot und Wein eröffnet. Dies gerade in einer Zeit, in der Menschen sich Angst und Trauer kaum entziehen können, möglichst elementar ins Spiel zu bringen, scheint mir geboten zu sein. Da ist es gut, dass Religiosität unter postsäkularen Bedingungen auch einfach "geschieht" und ihre Formen selbst findet. Ob es tatsächlich stimmt, dass die Fragestellung des Online-Abendmahls gerade keine "volkskirchliche" ist, sondern von spezifischen Haltungen zur religiösen Praxis her auf die Kirchen zukommt, wird die zukünftige Abendmahlspraxis überhaupt erst zeigen. Auch, ob die Frage vorübergehend relevant wird, oder ob wir derzeit mitten in einem Impuls stecken, durch den sich die rituelle Praxis der evangelischen Kirchen grundlegend wandelt.
Deutlich ist schon heute: Fragestellungen, die vorher als randständig oder avantgardistisch galten, entfalten sich so als Herausforderungen, den christlichen Glauben auch in seinen traditionellen Ausdrucksformen wie etwa dem Abendmahl unter den Bedingungen von Gegenwartskultur zu leben.
Friederike Erichsen-Wendt, April 2020
Sehr geehrter Herr Seitz,
Sie beziehen sich mit Ihrer Frage auf folgenden Artikel: http://aktuell.evangelisch.de/artikel/7887/abendmahl-im-internet-ein-experiment.
In der evangelischen Kirchengemeinde Eppertshausen fand ein Gottesdienst statt, der parallel im Internet anzuschauen war, mitgefeiert werden konnte. An dieser doppelten Formulierung wird schon die Schwierigkeit in der Deutung dessen, was dort geschehen ist, deutlich: Nehme ich an einem Gottesdienst als Zuschauer/in teil – in der Kirchenbank, vor dem Fernseher, dem Radio, dem Computerbildschirm, oder bin ich ein Teil der Gemeinschaft, die sich um Wort, und – hier „online“ neu – Sakrament versammelt? Ganz gleich an welchem Ort, kann das Rezeptionsverhalten eines Gottesdienstes ganz unterschiedlich sein.
Der Gottesdienst aus Eppertshausen sieht sich ausdrücklich als Versuch an, Kirche zu den Menschen zu bringen und auf ihre Kommunikations- und Partizipationsgewohnheiten einzugehen.
Nun fragen Sie, ob dies möglich ist und wie sich die Evangelische Kirche in Deutschland dazu verhält. Zu der zweiten Frage kann ich Ihnen sagen, dass mir bislang keine offizielle Stellungnahme der EKD oder einer der Gliedkirchen zu gottesdienstlichen Ritualen im virtuellen Raum des Internets bekannt ist. Wie so häufig in der Geschichte der Kirchen, überholt die kirchliche Praxis das kirchenoffiziell Verlautbarte. Aus meiner Sicht sollte man es nicht für einen Schaden halten, dass sich die Frömmigkeitspraxis aus dem Leben der Kirchengemeinden vor Ort weiterentwickelt und Lehrentwicklungen darauf deutend reagieren.
Ihre erste Frage hingegen fragt nach der Möglichkeit, Abendmahl über Räume hinweg zu feiern. Offensichtlich spüren Sie – und mit Ihnen viele Menschen – eine Skepsis in dieser Frage. Eine Verbundenheit über Räume hinweg zu denken, ist ungewohnt in der Theologie, gerade auch beim Abendmahl, aber schon früh vorausgesetzt: In der Anrufung vor dem Abendmahl, der Präfation, wird etwa die Vorstellung hervorgerufen, dass die Anwesenden sich verbunden wissen mit „allen Mächten und Gewalten, die Gott mit einhelligem Jubel preisen“. Auch die im Glaubensbekenntnis bekannte „Gemeinschaft der Heiligen“ ist eine Größe über Räume hinweg und damit eine virtuelle Gegebenheit.
Weiterhin steht mit Menschen, die von sich sagen, in und durch virtuelle Räume zu handeln, unser gewohntes Wirklichkeitsverständnis auf dem Spiel: Ist die Teilnahme am Abendmahl „weniger“ wirklich, wenn sie durch das Medium Internet geschieht, als durch die in einem gemeinsam geteilten, umfriedeten Raum gesprochenen Worte? In beiden Fällen ist die Verbundenheit medial vermittelt, eben nur durch ein anderes Medium. Bereits von Aristoteles stammt die Vorstellung, dass Kommunikation und Teilhabe nie ohne mediale Vermittlung möglich ist.
Nach meiner Beobachtung verhält es sich so, dass vor allem Menschen an virtuell realisierten Ausdrucksformen und Ritualen des Gottesdienstes interessiert sind, die in diesen Formen auch in konventioneller Gestalt beheimatet sind: Wem die herkömmliche Form des Abendmahls nichts sagt, wird auch im Internet nicht danach suchen. Es kann aber sein, dass Hinderungsgründe, die jemandem den Besuch eines Gottesdienstes in einem Kirchgebäude erschweren oder unmöglich machen, im Internet nicht gegeben sind und ein „Online-Abendmahl“ insofern auch einen Beitrag zu Barrierefreiheit und Inklusion darstellt. Gerade auf diesen seelsorglichen Aspekt weist der Prädikant, der in Eppertshausen das „Online-Abendmahl“ ausprobiert hat, im erwähnten Artikel unseres Portals ausdrücklich hin.
Schließlich stellt sich beim „Online-Abendmahl“ die Frage nach der Verbindlichkeit. Mit dem Abendmahl geht die Verbindlichkeit einher, einander als Geschwister im Glauben anzusehen und zu behandeln. Wie geschieht das in virtuellen Wirklichkeiten? Wie viel ist auch von den in manchen Kirchen stark ausgeprägten reformatorischen Aspekten der Kirchenzucht, die mit dem Abendmahl verbunden sein können, im Leben der Kirche vorhanden und Grund dafür, dass dem „Online-Abendmahl“ distanziert begegnet wird?
Sie sehen, dass sich im Anschluss an das „Abendmahl im Internet – ein Experiment“ eine Reihe von Fragen stellen. An sie anschließend die angemessene Ritualpraxis in den evangelischen Kirchen weiterzuentwickeln, dürfte eine der wesentlichen gottesdienstlichen Aufgaben unserer Zeit sein.
Herzlich grüßt
Ihre Friederike Erichsen-Wendt, Pfrin.