Meint "Gemeinschaft der Heiligen" auch Jüdinnen und Juden?

Dr. Gottschalk
Menschen halten einander an den Händen
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Üblicherweise versteht man unter der "Gemeinschaft der Heiligen" im Kontext des Glaubensbekenntnisses alle in Christus Getauften. Offensichtlich bezieht man sich dabei auf 1. Petrus 2. Gemeint ist mit "heilig" im eigentlichen Sinn ein "Gott zugehörig Seiendes". Sehe ich das richtig? Die Parallelstelle (und ältere Stelle in der Heiligen Schrift) zu 1. Petrus 2 ist allerdings 2. Mose 19ff., d.h. Zuspruch und Aussage, dass das Jüdische Volk ein Heiliges Volk ist. Insofern meine Frage: Schließen wir mit der "Gemeinschaft der Heiligen" im Glaubensbekenntnis das Jüdische Volk mit ein oder schließen wir es durch den exklusiven Taufbezug aus?

Sehr geehrter Dr. Gottschalk, 

für Ihre Frage danke ich Ihnen. Es ist scheint Ihnen wichtig zu sein, dass wir die "Gemeinschaft der Heiligen", zu der wir uns bekennen, weit fassen. Das ist in jeder Richtung, in die man denken kann, wichtig: Es wäre eine Engführung, wären mit der "Gemeinschaft der Heiligen" nur genau die Menschen gemeint, die am Sonntag in den Kirchen rund um die Welt ihr Bekenntnis sprechen. Grundsätzlich ist die "Gemeinschaft der Heiligen" größer und höchstwahrscheinlich auch unterschieden von der Gruppe der Menschen, die den sonntäglichen Gottesdienst besuchen. 

Mit der Reformation wurde ein doppelter Kirchenbegriff eingeführt: Es wird von der sichtbaren Kirche, die durch Personen und deren Taten erkennbar ist, gesprochen. Und die Reformation kennt auch eine unsichtbare Kirche, die wie ein inneres geistliches Band verbindend wirkt und die die Grenzen der sichtbaren Kirche überschreitet. Die "heilige christliche Kirche", die wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, hat aber nicht die sichtbare, sondern die unsichtbare Kirche im Blick.

Also: Die Gemeinschaft der Heiligen ist deutlich größer, als wir sie uns häufig ausmalen. Auch unterscheidet sie sich von dem, was menschlichen Vorstellungen zugänglich ist. Ihr Gedanke des "Gott zugehörig Seienden" fällt in den Bereich "unsichtbar", wir wissen nur, dass es mehr und anderes "Gott zugehörig Seiendes" gibt, als unsere Phantasie es zulässt.

Doch ist dieser Gedanke auch gefährlich. Frage: Wollen alle Menschen, die man hier als die "Gemeinschaft der Heiligen" mitdenken kann, wirklich Teil dieser Gemeinschaft sein? Wollen wir für Ungetaufte einen "Bezug zur Taufe" konstruieren, der von den Nichtgetauften explizit abgelehnt wird? Ich denke, man soll mit der einseitigen Zuordnung nichtchristlicher Menschen zur "Gemeinschaft der Heiligen" extrem behutsam sein. 

Gerade mit Blick auf jüdische Menschen bin ich zurückhaltend mit einseitigen Zuordnungen. So verstehe ich auch den 2. Petrus 2: In diesem Abschnitt des Briefes geht es nicht darum, das "heilige Volk" mit Blick auf die christliche Taufe als das "Volk Gottes" zu bestimmen. Es ist umgekehrt: Ohne dass Israel etwas genommen wird, wird die christliche Gemeinde - die offenbar in Not ist - in die Geschichte Gottes mit seinem Volk hineingenommen. "Die Gemeinschaft der Heiligen" erklärt sich nicht - wie Sie andeuten - aus der Taufe, sondern aus dem "in Gnaden" sein, das seinem Volk widerfahren ist (siehe: 1. Petrus 2,10). Uns, den Christinnen und Christen wird also das "in Gnaden sein" mit zuteil.  Auch im Römerbrief wird deutlich, dass Israel in besonderer Weise mit Gott verbunden ist und als Volk Gottes bleibend erwählt ist (siehe: Röm 11,2a). Wenn Gott seinem Volk also treu ist, so ist es nicht die Aufgabe für uns Christinnen und Christen Gottes Treue einseitig in Frage zu stellen. Also wie "die Gemeinschaft der Heiligen" wirklich definiert ist, ist nicht eine Definitionsfrage der Theologie sondern bleibt Gott vorbehalten. 

Lange Zeit hat die Christenheit das apostolische Zeugnis von der bleibenden Erwählung Israels vergessen. Über diese unüberwindbare Schuld muss ich nichts schreiben.  Aber in den vergangenen Jahrzehnten wurde das Zeugnis von der bleibenden Erwählung Israels neu entdeckt. Dass Juden in keinem Fall der Status der Heilsferne und Heillosigkeit zugeschrieben wird, gilt heute als selbstverständlich.

Auf die Kundgebungen der Synoden der EKD und der Landeskirchen zu diesem Thema möchte sich hier hinweisen und Ihnen diese - etwas ältere - Schrift empfehlen: Christen und Juden I-III.

Herzlich grüße ich Sie, Ihr Henning Kiene 

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