Hallo Herr Muchlinsky,
eine Frage, die mich zur Zeit immer mal wieder beschäftigt ist die folgende: Ich mache daraus eine provokante, absichtlich kurz gehaltene, These und bin auf Ihre Antwort gespannt:
Jesus als Sohn Gottes wusste, dass es für ihn ein Leben nach dem Märtyrertod geben wird. Also ist dieses "sein-Leben-für-die-Menschen-geben" für mich natürlich ein Ertragen von Schmerzen für einige Stunden vor und bei der Kreuzigung, aber mehr eben auch nicht. Denn er wusste, dass (nach dem irdischen Tod) seine Gottesexistenz gesichert ist.
Danke und Grüße
S. Buchner
Liebe Frau Buchner,
Ihre "provokante These" hat durchaus Anhalt an der biblischen Tradition selbst. Anscheinend haben sich auch schon die Evangelisten gefragt, wie "zuversichtlich" Jesus in seinen Tod ging. Bei Lukas steht zum Beispiel, dass einer der Verbrecher, die neben Jesus gekreuzigt werden, sagt: "Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein." (Lukas 23,42)
Laut dem Lukasevangelium war es Jesus also durchaus klar, dass er nach dem Tod zu seinem himmlischen Vater kommen würde. Aber meinen Sie wirklich, dieses Wissen darüber, dass er gequält wurde und getötet, schmälert seine Schmerzen? Mal ganz abgesehen davon, dass auch berichtet wird, wie sehr Jesus verzweifelt war und mit Gott rang, dass er bitte nicht so sterben müsse (vergleiche Markus 14,32-42), geht es doch nicht einfach darum, dass ein Mensch den "Märtyrertod", wie Sie es nennen, stirbt.
Ein Märtyrer ist jemand, der für seinen Glauben ein Zeugnis ablegt, selbst wenn es sein Leben kostet. Jesu Tod aber ist – wenn man das christlich durchdenkt – unendlich viel mehr als solch ein "Zeugnis", weil Jesus eben nicht nur ein Mensch, sondern auch Gott war. Überlegen Sie mal: Gott hätte es im Grunde überhaupt nicht nötig, sich mit den Menschen abzugeben. Gott könnte ruhig zuschauen, was geschieht mit der Schöpfung und sich fein raushalten. Nach christlichem Glauben aber liegen die Menschen Gott so sehr am Herzen, dass Gott selbst zum Menschen wurde. Das ist eine ungeheure Vorstellung und für andere Religionen nicht einmal denkbar!
Und dann geschieht das endgültig Unfassbare: Gott wird so sehr Mensch in Jesus, dass er sich sogar anfassen, verletzen, anspucken, auslachen und töten lässt. So nah kommt Gott den Menschen. Spielt es da wirklich eine Rolle, dass der Mensch Jesus sich im Moment seines Schmerzes sicher sein konnte, dass er bald im Himmel ist?
Viel bedeutender ist, dass Gott in Jesus Christus berührbar wurde, verletzlich wie alle Menschen und wir daher glauben dürfen, dass selbst der Tod nicht mehr ein Ort ist, der einen von der Nähe Gottes trennt, weil Gott selbst schon da war.
Herzliche Grüße
Frank Muchlinsky