Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
seit längerem beschäftigt mich die Frage nach dem Leid von Kindern. Und ehrlich gesagt: Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich vom Glauben ab. Ich habe mich aber noch nie getraut hierzu einen Pfarrer zu fragen.
Wenn Kinder z.B. durch Krieg oder Verbrechen großes Leid erfahren oder getötet werden, kann man dies noch mit dem bösen Handeln der (erwachsenen) Menschen begründen.
Aber was ist mit Kindern deren Leben aufgrund einer z.B. angeborenen Krankheit (für die auch die Mutter nicht aufgrund von Drogenmissbrauch etc. verantwortlich gemacht werden kann) von Anfang an mit großen Qualen verbunden ist? Oder Kindern, die aufgrund von Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen oder ähnlichem (also etwas, das nichts mit dem von Menschen zu verantwortenden Klimawandel zu tun hat) verbrennen oder ersticken oder was auch immer? Dafür kann kein Mensch etwas. Und das Kind auch nicht. Und trotzdem lässt Gott so etwas zu bzw. hat es so erschaffen? Für mich gibt es in dieser Hinsicht keinen Gott. Und deshalb inzwischen auch nicht mehr in allen weiteren.
Liebe Besucherin,
gut, dass Sie sich trauen, Ihre Frage einem Pfarrer zu stellen, denn ich habe mich natürlich schon mit genau dieser Frage beschäftigt – einerseits sozusagen von Berufs wegen, andererseits, weil ich mich – wie vielleicht jeder gläubige Mensch – frage, wie das Leid in der Welt zu erklären ist und welche Rolle Gott dabei spielt. Ich habe eine Antwort für mich gefunden und weiß, dass sie mir hilft. Ich will Ihnen diese Antwort gern vorstellen. Ob Ihnen das weiterhilft, kann ich nicht sagen. Das werden Sie entscheiden.
In dem, was Sie beschreiben, wird deutlich, was für ein Bild Sie selbst von Gott haben oder hatten, denn Sie schreiben ja, dass Sie sich vom "Glauben abgewandt" haben. Lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen und bestimmte Dinge herausstreichen, die für Ihr Gottesbild anscheinend wichtig sind/waren. Das ist wichtig für meine Antwort. Zunächst einmal gehen Sie davon aus, dass Gott alles geschaffen hat, inklusive der Menschen, der Vulkane und der Krankheiten. Sie gehen außerdem davon aus, dass Gott in seine Schöpfung eingreifen könnte, denn Sie schreiben, Gott ließe es zu, dass Kinder leiden. Das bedeutet im Umkehrschluss: Gott könnte sehr wohl eingreifen. Außerdem machen Sie indirekt Aussagen über den Menschen: Menschen tun Schlimmes, sind aber nicht an allem Schlimmen Schuld. Und Sie fragen nach dem Leid von Kindern. Ich nehme an, dass Sie Kinder darum erwähnen, weil Kinder besonders unschuldig an irgendetwas sind.
Zusammengefasst ergibt das, was Sie schildern, ein Welt- und Gottesbild, in dem Gott eine Welt geschaffen hat, in der es auch dazu kommt, dass Unschuldige leiden müssen – nicht nur, weil andere Menschen Ihnen etwas antun, sondern weil die Welt eben von Gott so eingerichtet wurde und dann sich selbst überlassen. Solch einen Gott wollen Sie nicht, und das kann ich verstehen.
Was Sie ablehnen, ist eine Vorstellung von Gott, die weit verbreitet ist: Ein Gott, der doch lieb sein soll, und der es einfach nicht ist, weil er es zulässt, dass selbst Unschuldige leiden müssen. Dieses Gottesbild ist allerdings nicht das, was Bibel oder Christentum verkünden, zumindest nicht das, was verkündet werden sollte. Nach dem biblischen Zeugnis ist Gott in der Tat der Schöpfer von allem – von allem Schönen ebenso wie von Krankheiten und Erdbeben. Allerdings hat Gott den Menschen niemals versprochen, dass sie in dieser Welt ohne Leiden leben könnten. Die Welt ist voll von Glück und auch voll von Leid. Sie ist voll von Leben und voll von Tod. In dieser Welt lebt der Mensch nicht zuletzt mit der Aufgabe, das Leid und die Not zu lindern, wo es nur geht, auch wenn diese Not nicht von Menschen selbst verursacht wurde. Das Christentum sagt, dass das Leid in der Welt nicht eine Strafe Gottes ist, sondern einfach ein Teil unserer Welt. Es wird nicht verschwinden, und dennoch gibt Gott den Menschen die Aufgabe, das Leid zu lindern.
Und Gott selbst? Gott hat sich nach dem christlichen Verständnis nicht aus der Welt zurückgezogen. Im Gegenteil: Gott ist als Mensch in diese Welt gekommen und hat all das erlebt, was wir Menschen erleben, inklusive Freude, Leid und Tod. Darum ist nach dem christlichen Glauben Gott besonders bei den Menschen, die in dieser Welt leiden. Das ist sein Versprechen und nicht, dass es überhaupt kein Leid geben soll. Und weil Leiden nach diesem Verständnis auch keine Strafe Gottes ist, kann es eben auch Unschuldige und Kinder treffen. Das ist schrecklich und für jeden mitfühlenden Menschen unerträglich anzusehen. Aber wir sollen ja auch nicht zusehen. Wir sollen helfen, wie wir nur können und wenn wir nichts ändern können am Leid selbst, sollen wir sie begleiten. So wie Gott es tut, der selbst Mensch geworden ist.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen erläutern, wie der christliche Glaube in meiner Interpretation so denkt. Wie gesagt: Ob Sie damit etwas anfangen können, entscheiden Sie selbst.
Herzliche Grüße
Frank Muchlinsky