Pränataldiagnostik, der eigene Anspruch und die Realität

Blubber
Mann und Frau halten Hände über ihren schwangeren Bauch.
©Syda Productions/lev dolgachov/stock.adobe.com

Grüß Gott,
mein Mann und ich stehen am Anfang meiner Schwangerschaft und machen uns gerade Gedanken, welche pränataldiagnostischen Untersuchungen wir durchführen lassen möchten. Und wir überlegen vor allem, wie wir mit etwaigen auffälligen Ergebnissen umgehen würden. Nun habe ich mich schon öfter mit diesem Thema beschäftigt und finde eine Menge rationaler und ethischer Gründe, auch ein Kind mit Behinderung zu bekommen. Ich merke aber in mir, dass alle diese Gründe -- jetzt in der tatsächlichen Situation -- für mich nicht zählen, dass ich im Gegenteil einfach nicht bereit wäre, ein Kind mit Behinderung anzunehmen, ohne dass ich in Worte fassen kann, warum.
Ich hoffe natürlich, dass ich mir die Frage gar nicht stellen muss und weiterhin alles in Ordnung ist, aber eine theoretische Antwort, wie mit der Diskrepanz zwischen ethischem Anspruch und "Willen" umgegangen werden kann, würde mich trotzdem interessieren.
Vielen Dank schon mal und einen schönen Tag
Blubber

Liebe Blubber,

herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Schwangerschaft! Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass tatsächlich alles gut verläuft und Sie ein gesundes Kind bekommen werden. Ich denke, es ist ausgesprochen gut, dass Sie sich bereits im Vorwege Gedanken darüber machen, wie Sie mit Untersuchungsergebnissen umgehen würden, die eine Krankheit des Kindes diagnostizieren. Ich höre häufig von Frauen und Paaren, die sich auf sämtliche pränataldiagnostischen Untersuchungen einlassen, ohne sich einmal überlegt zu haben, wie man denn tatsächlich reagieren würde. In diesen Fällen ist der Druck besonders hoch, weil er so überfallartig kommt, und das macht eine Entscheidung noch schwerer, als sie ohnehin ist.

Ich kenne ebenso Paare, die sich gegen die Untersuchungen entschieden haben, eben weil sie keine Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch treffen wollten.

Ich kann nachvollziehen, wenn Sie schreiben, dass Sie Ihre Entscheidung letztlich nicht nach rein ethischen Regeln oder Überlegungen treffen könnten. Wer sich bemüht, das eigene Leben gut und richtig zu führen, kommt immer wieder an Punkte, an denen er oder sie nicht ohne Schaden oder ohne Schuld aus einer Situation herauskommen kann. Sie schreiben, es wäre in Ihrem Fall eine "Diskrepanz zwischen Anspruch und Willen". Ich würde etwas weiter gehen und sagen: Hier stehen sich anscheinend "Anspruch und Vermögen" gegenüber. Wie Sie Ihre Überlegungen beschreiben, lese ich daraus, dass sie nicht einfach "kein behindertes Kind haben wollen", sondern, dass Sie sich nicht vorstellen könnten, solch ein Kind "anzunehmen". Da geht es weniger um Ihren Willen, sondern anscheinend eher darum, was Sie sich zutrauen, was Sie schaffen könnten.

Niemand kann besser beurteilen, wozu Sie in der Lage wären, als Sie selbst. Niemand müsste mit der Entscheidung, die Sie zu treffen hätten, so leben wie Sie selbst. Dabei spielt es keine Rolle, wie Sie sich entscheiden: Sie leben mit den Folgen. Wenn Sie sich für einen Abbruch entscheiden würden, müssten Sie damit leben, dass Sie Ihren Ansprüchen nicht gerecht werden konnten. Wenn Sie sich für das behinderte Kind entschieden, würden Sie mit ihm und seinen besonderen Bedürfnissen leben. Die Entscheidung ist in jedem Fall schwer, und ich hoffe für Sie wie für jede andere schwangere Frau, dass Sie keine Entscheidung treffen müssen.

Eine rein theoretische Antwort kann es also nicht geben, denn jede Situation ist anders, die Möglichkeiten und die Umstände sind niemals genau dieselben. Und letztlich sollte es immer die schwangere Frau sein, die sich mit ihrem Gewissen, ihren Ansprüchen und ihren Fähigkeiten auseinandersetzt und dann entscheidet.

Gott segne Sie und Ihre Schwangerschaft!

Frank Muchlinsky

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