Die Allversöhnungslehre in der evangelischen Kirche

Nikola Vuletic

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
Im Schreiben "Für uns gestorben. Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi", einem Grundlagentext des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, heißt es auf Seite 114:
"In der jüngeren evangelischen Theologie hat sich zunehmend die Vorstellung durchgesetzt, dass Gott durch Gericht und Verwandlung hindurch am Ende keinen Menschen vom Heil ausschließen werde."
Es wird also postuliert, es gäbe keine Bedingung für die Erlangung des ewigen Lebens. Meine Frage ist nun, ob dies die offizielle Meinung der evangelischen Kirche in Deutschland ist. Meiner Meinung nach steht diese Postulation nämlich nicht nur im Widerspruch zum Augsburger Bekenntnis, das den Glauben als heilsnotwendig bezeichnet, sondern auch zu mehreren Bibelstellen. Zwei davon seien hier genannt:
"Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, dass sie hineinkommen, und werden's nicht können." (Lukas 13, 24)
"Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden." (Markus 16, 16).
Ich persönlich kann nicht erkennen, wie diese Bibelstellen mit der Allversöhnungslehre vereinbar sind. Daher würde ich mich freuen, wenn sie mich was dies betrifft erleuchten könnten und mir sagen, was die offizielle Meinung der EKD zu der Frage ist, wer errettet wird.
Mit freundlichen Grüßen!
Nikola Vuletic

Lieber Herr Vuletic,

wenn in dem Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, den Sie zitieren, steht, dass in der jüngeren evangelischen Theologie sich eine bestimmte Vorstellung durchsetzt, heißt das nicht, dass es sich hierbei um eine "offizielle Meinung der EKD" handelt. Vielmehr ist es die Darstellung einer theologischen Diskussion.

Die Einwände, die Sie gegen die Vorstellung einer Allversöhnung vorbringen, finden sich sämtlich auch in dieser Diskussion wieder. Die EKD ist nicht dazu da, Postulate aufzustellen, die dann verbindlich für die Gliedkirchen wären. Allerdings kann sie durch Denkschriften den Diskussionsprozess befördern und so Einfluss nehmen.

Eine "offizielle Lehrmeinung" wird die EKD nicht verkünden können oder wollen. Das widerspricht der Satzung wie dem evangelischen Verständnis insgesamt. Die EKD ist wie ihre Gliedkirchen an die Heilige Schrift und die kirchlichen Bekenntnisse gebunden.

Was die Allversöhnung angeht, so sind die theologischen Überlegungen hierzu in der Tat ausgesprochen interessant. Wenn man zum Beispiel das Jüngste Gericht als "Aufrichtung von Gerechtigkeit und Wahrheit" versteht (so der Theologe Wilfried Härle, in: Die Rede von der Liebe und vom Zorn Gottes, ZThK Beiheft 8/1990, 50-69), kann man sich der Vorstellung eines Gerichtes ohne doppelten Ausgang durchaus annähern.

Ich empfehle Ihnen in jedem Fall die Lektüre des Aufsatzes von Reinhard Hempelmann in dem Lexikon der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zum Stichwort Allversöhnung – doppelter Ausgang des Gerichts – Annihilation. Dort werden die verschiedenen Positionen kurz und verständlich dargelegt.

Herzlichen Gruß

Frank Muchlinsky

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