Lieber John-Dirk,
Ihre Frage beweist Humor. So schlecht ist unsere kirchliche Arbeit gewiss nicht, dass alle Bemühungen der Taufpatinnen und Taufpaten, ihre Patenkinder zu einem mündigen Glauben zu begleiten, unser Konfirmandenunterricht und und die sonntägliche Predigt an den Menschen abperlen, wie der Regen von der Öljacke und die kirchliche Arbeit mich nicht nass macht und in meinem Kern erreicht. Dann käme ich nach Hause und hängte die Verkündigung des Wortes Gottes zur meiner nassen Regenkleidung ins Bad und ließe das Wort einfach von mir wegtrocknen. Nein, das ist eine lustige Karikatur der Kirche.
Die Inhalte, für die unsere Kirche eintritt, erreichen und prägen menschliche Biografien, sorgen für Humanität, für selbstlose Menschen und für eine Menschlichkeit, die das Leben von Christ:innen durchzieht. Also: Das Lernen des Katechismus - natürlich in zeitgemäßer Form - zeigt Wirkung. Und die sonntägliche Predigt stärkt das Mitdenken und die Gewissen der Gemeinde und wirkt in den Alltag hinein. Unsere Kirchengemeinden prägen Dörfer, Stadtteile und die Moral der Menschen. Erste Antwort: Das Wort Gottes perlt nicht ab, wie Regen vom Ölzeug, Gottes Wort erreicht die Menschen und wirkt über die Gemeinde hinaus in die Öffentlichkeit.
In meinem Pastorenleben habe ich gelernt: Auf eine Beurteilung des Glaubens anderer Menschen verzichte ich. Ich lege keinen Lügendetektor an, denn Gott will, "dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (1. Tim 2,4). Wer Christin und wer Christ ist, überlasse ich also Gottes Bewertung. Er wird dafür sorgen, dass sein Plan aufgeht. Ich weiß nur: Die Gnade Gottes gilt allen Menschen und alle Menschen sind - wie auch immer das genau sein wird - in seinen Heilsplan aufgenommen. Und Gott denkt ja nicht wie ein Kirchenbeamter des letzten Jahrhunderts und macht vor der Konfirmation eine Glaubensprüfung um seine Gnade entsprechend seiner Erkundungen zu verteilen.
Ohne ein Augenzwinkern: Kann ich einen Menschen als Christen oder Christin bezeichnen, der - warum auch immer - keinen Kontakt zum Glauben bekommen kann, dessen Tun und dessen Haltung aber genau so wirken, als würde dieser Mensch den Glauben an Jesus Christus in Wort und Tat aktiv bezeugen. Zweifellos gibt es solche Menschen. In meiner Jugend sprach man von Mahatma Gandhi und dachte, dieser Mann mit seiner selbstlos, gewaltfreien und doch kämpferischen Lebenshaltung müsse doch eigentlich Christ sein.
Augustinus hat Ihre Frage auch schon bewegt, er sagt: "Manche scheinen in der Kirche zu sein und sind in Wirklichkeit draußen. Manche scheinen draußen zu sein und sind in Wirklichkeit drinnen." Der katholische Theologe Karl Rahner hat den Begriff eines "anonymen Christen" entwickelt. Er geht davon auch, dass jeder Mensch unausweichlich mit Gott zu tun hat und das - natürlich unausgesprochen und unwissend - auch aktiv leben kann. Das Gefühl für eine Freiheit, die allem überlegen ist, ist für diesen Gedanken Teil des Menschseins. Man spricht von einer das Dasein durchwaltenden gnadenhaften Bezogenheit des Menschen auf Gott. Die, die "draußen sind" wirken dann, als wären sie "in Wirklichkeit drinnen".
Diese Idee eines "Anonymen Christentums" hat vor allem die katholische Theologe bewegt. Ich neige dazu - mit diesem Gedanken im Hinterkopf - zu sagen: In jedem Menschen liegt das Potential eines christlichen Lebens und ich bemühe mich, der Humanität, die mit im nichtchristlichen Zusammenhang begegnet, mit der selben Wertschätzung zu begegnen, wie der christlichen Nächstenliebe.
Ich hoffe sehr, dass ich Ihre Frage so einigermaßen beantworten konnte, Ihr Henning Kiene