Entwickelt sich Gott?

Ursula
Illustration: Mehrere Leitern führen in den Himmel
©Getty-Images/d6z7maxiuza/Unsplash

Im Neuen Testament scheint Gott anders zu sein - zu handeln und zu denken- als im Alten Testament. Kann Gott dazulernen und sich entwickeln? Oder hat ihm gutgetan, dass er nicht mehr alleine ist, sondern mit Heiligem Geist und Sohn gemeinsam wirkt? So wie uns Menschen Teamwork entlastet? Oder kann man nicht in solchen Kategorien denken?

Liebe Ursula, 

viele Menschen denken, dass Gott sich im Neuen Testament "neu erfindet". In gewisser Weise stimmt das, denn Gott erweist sich im Leiden und in der Auferstehung Jesu als Gott, der durch Tiefes geht und neu ins Leben tritt. Doch die Spuren für den Glauben an die Auferstehung sind schon sehr früh gelegt. In Hesekiel 37,1-14 belebt Gottes Atem die Totengebeine. Eine atemberaubende Szene zeigt, dass die Vorstellung von der Auferstehung der Toten im Alten Testament verankert ist. Und auch der Heilige Geist ist keine "Erfindung" für das Neue Testament. Schon in der Schöpfung schwebt der Geist Gottes über dem Wasser (1. Mose 1,1). Und: Das Gebot der Nächstenliebe ist - anders als viele Menschen denken - keine Erfindung des Neuen Testamentes, sondern im 3. Mose 19,18 formuliert. Also: Gott musste sich nicht neu erfinden. Auch nicht als dreieiniger Gott. 

Das Nizänische Glaubensbekenntnis, in dem die Kirche vor 1700 Jahren in wenigen Sätzen ihren Glauben formulierte, geht davon aus, dass der Sohn "eines Wesens mit dem Vater" ist und der Heilige Geist "aus dem Vater und dem Sohn" hervorgeht. Also: Gott ist schon immer dreieinig. Mit Ihren Worten kann man sagen: Gott ist Teamwork. 

Trotzdem denkt man immer wieder, dass Gott noch immer dazulernt und sich immer neu erbarmen lässt. Ich denke an die bittende Witwe im Lukasevangelium Kapitel 18 und an die Frau aus Syrophönizien im 7. Kapitel des Markusevangeliums. Da lässt sich Jesus überzeugen, weitet seinen eigenen Horizont und verändert seine feststehende Position. Mit Ihren Worten kann man sagen: "Gott lernt dazu." 

Wenn Gott also dazulernt und sich entwickelt, dann gibt es auch dafür biblische Zeugnisse. Denn es ist klar: Gott lässt sich immer aktuell berühren, dafür steht Markus 7,24-30. Und: Gott ist allmächtig, er schafft also noch immer neues Leben und gibt den Menschen neuen Lebenswillen. Jeder Atemzug, den wir atmen, ist Teil von Gottes ununterbrochener Schöpfung. Jeder Mensch, der gerettet wird, ist auch Teil von Gottes fortdauernder Rettung. Also sind wir alle in Gottes Allmacht gehalten und werden manchmal überrascht von Gottes Willen. Und Gott verschließt sich dem Neuen nicht. 

Christlicher Glaube erstarrt nicht in dem, was früher einmal gewesen ist. Glaube lebt in unserer Gegenwart. Zum Beispiel: Die Hoffnung, mit der Sie hoffentlich leben, kommt direkt aus Gottes Schöpferwerkstatt. Dieser Gedanke ist nicht neu, er ist unbewusst selbstverständlich. Das Gebet, mit dem ich abends einschlafe, rechnet mit einem Gott, der am nächsten Morgen noch gut zu uns allen ist: "Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang". (Psalm 23) 

Ihre Frage lenkt also in eine andere Richtung und ich möchte sie so beantworten: Gott geht mit uns mit und trägt, leitet, tröstet und ermutigt uns. Gott wirkt auf uns manchmal so, als würde er sich immer neu erfinden. Genau das ist Ausdruck dafür, dass er dreieinig ist und über viele Weisen verfügt, in der Gegenwart zu wirken. Oder: Wir lernen, dass wir Gott neu erleben können. Freude an neuen Entdeckungen mit Gott wünsche ich Ihnen und uns, die wir für die Kirche arbeiten. 

Herzlich grüße ich Sie, Ihr Henning Kiene 

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