Warum gibt es Kruzifixe – und wiederholen sie die Kreuzigung?

Konstantin
Jesus am Kreuz
Peter Bongard/Fundus

Ich heiße Konstantin und bin aus der katholischen Kirche ausgetreten, als ich auf die Konstantinische Fälschung stieß, um von außen darauf zu schauen.
Gerade beschäftigt mich die Frage nach dem Kruzifix: Wie kam in der Offenbarung Christi und seines Vermächtnisses die Idee auf, Andachtsbilder aus der Wiederholung der Kreuzigung zu fertigen, vor denen die Gemeinde niederkniet?
Im katholischen Kontext kann ich es verstehen – mit der Offenbarungstradition und der cäsarischen Nachfolge im Gepäck, dazu das Mönchische neben dem unglaublichen Anspruch auf weltliche Macht.
Im reformatorischen Bereich erscheint es mir als Künstler pervers, einen Corpus Christi an ein Kreuz zu nageln. Gibt es darüber ein Gespräch?

Lieber Konstantin,

Darstellungen des gekreuzigten Jesus sind in der Tat oft sehr drastisch. Diese Tatsache allein ist wenig erstaunlich, weil diese Folter- und Hinrichtungsmethode an sich extrem drastisch und unmenschlich ist. Kreuzigungen sollten den Verurteilten jede Würde nehmen. Sie sollten alles, was sie als Mensch ausmachte, auslöschen. Insofern sind die Darstellungen, die wir in den Kirchen finden, noch harmlos. Eigentlich müsste Jesus vollständig nackt dargestellt sein, denn so wurde er gekreuzigt. 

Schon daran kann man erkennen, dass die Darstellung der Gekreuzigten eben keine Wiederholung der Kreuzigung ist oder sein will. Vielmehr ist es eine Interpretation des Geschehens. Wer ein Kruzifix herstellt, setzt sich mit den biblischen Zeugnissen zur Kreuzigung Jesu auseinander. Dazu kommen noch die vielen Darstellungen, die bereits geschaffen wurden. Dazu das eigene Verhältnis der kunstschaffenden Person zum Tod Jesu und dessen Bedeutung für den christlichen Glauben. All das fließt in die Darstellung des Gekreuzigten ein. 

Man darf natürlich die Frage stellen, ob diese Darstellung überhaupt sein muss. Würde nicht das Kreuz selbst genügen? Diese Diskussion ist über Jahrhunderte immer wieder geführt worden. Wer diese Darstellungen befürwortet, macht genau das geltend, was Sie auch erwähnen: Man kann sie auf sich wirken lassen und vor ihr niederknien. Denn das ist das Besondere am christlichen Glauben: Wir knien nicht vor Königen und Diktatoren. Wir knien vor dem, den die Mächtigen kleinmachen wollten, den sie auslöschen wollten. Wir glauben, dass ihnen das nicht gelungen ist. Wir glauben und bekennen, dass Gott diesen misshandelten Menschen von den Toten auferstehen ließ. 

Die Herstellung von Kruzifixen dient darum der Besinnung auf diese Grundlage des christlichen Glaubens. Das ist auch kein Spezifikum der römisch-katholischen Kirche. Sie ist, wie erwähnt, keine Wiederholung der Kreuzigung.

Gestatten Sie mir noch ein Wort zur Konstantinischen Schenkung, oder „Konstantinischen Fälschung“, wie Sie es nennen. Dass es sich bei dieser Urkunde um eine Fälschung handelte, wurde bereits im 15. Jahrhundert zum ersten Mal bewiesen. Auch die römisch-katholische Kirche leitet daraus seit dem 19. Jahrhundert keine Ansprüche mehr auf weltliche Macht für sich ab. Insofern finde ich es nicht unbedingt schlüssig, wegen dieser 1.200 Jahre alten Fälschung aus der römisch-katholischen Kirche auszutreten. 

Herzliche Grüße!

Frank Muchlinsky 

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