Hallo, ich lebe quasi in einem Teufelskreis (Höllenkreis) Als Kind, im Kinderheim, misshandelt und mit Höllenandrohungen gequält, verließ ich, kaum war ich erwachsen die Kirche und auch den christlichen Glauben. Ich möchte betonen, dass ich kein purer Atheist bin. Ich könnte mir schon ein göttliches Hintergrundbewusstsein hinter allem was ist, durchaus vorstellen. Glauben tue ich an das wissenschaftliche Denken und Forschen. Aber wer bin ich schon?! Ich kann das was "man" heute wissenschaftlich weiß, allerhöchstens grob erfassen. Für die Details fehlt mir ganz einfach die geistige Voraussetzung! So ist es aber auch mit der Religion! Was weiß ich denn und überhaupt, was wissen Menschen was WIRKLICH ist. Möglicherweise gibt es diesen grausamen Gott wirklich!! ABER! Den könnte ich niemals lieben. Den könnte ich nur fürchten und unvorstellbare Angst vor ihm haben! Nur aus nackter Angst mich zu ihm bekehren. Wer will schon ewig unendliche Schmerzen erleiden? Aber ich kann das nicht. Ich will mich nicht zu diesem Scheusal bekehren . Ich hoffe Sie können mir ein klein wenig helfen oder beistehen. Viele liebe Grüße Andreas
Lieber Andreas,
dass Sie uns - dem evangelischen Fragenteam - vertrauen, freut mich sehr. Ihre Frage zeigt, dass für Sie der Glaube an einen liebenden Gott unendlich fern ist. Christlicher Glaube entsteht aus einem tiefen, ursprünglichen Vertrauen. Dieses Vertrauen ist in Ihnen zerbrochen worden. Wenn einem Kind in jungen Jahren mit der Hölle und ewigen Plagen gedroht wird, überrascht die Nähe zum Atheismus nicht. Ein Mangel an Liebe vernichtet ganze Biographien. Christlicher Glaube und Angst sind einander spinnefeind. Vielfach wurde aus Kindern jede Möglichkeit zu einem festen Glauben an einen liebenden Gott herausgeprügelt. Das ist ein Verbrechen.
Da wir hier alle Fragen öffentlich beantworten, ist hier wenig Platz für persönlichen Austausch und Beistand. Wenn Ihre Not sehr drängt, dann wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge (0800 1110111 / 0800 1110222 oder 116 123). Es gibt mit Sicherheit auch eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe. Gewalt, die Sie als Kind erlitten haben, braucht professionelle Aufarbeitung. Meine Bitte: Nehmen Sie jedes Unterstützungsangebot - es gibt hoffentlich auch bei Ihnen viele Hilfsangebote - an. Höllenangst braucht therapeutische Hilfe.
Für mich gleicht es einem Wunder, dass Sie von dem "Höllenkreis" sprechen in dem Sie leben und Sie dennoch eine Art "göttliches Hintergrundbewusstsein" spüren. Dieses Bewusstsein kann ja auch Anfang einer Überwindung des "Höllenkreises" sein.
Wie Sie sich dieses "göttliche Hintergrundbewusstsein" vorstellen, weiß ich nicht. Aber ich stimme Ihnen zu: Wir wissen immer viel zu wenig. Wüssten wir alles, dann gäbe es keine Wissenschaft und auch keine Forschung mehr, es bräuchte auch keine Expertinnen und Experten, denn dann wüssten wir bereits alles selbst. Selbstverständlich sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - in ihrem Fachgebiet - immer besser informiert als ich und wissen mehr als ich. So ist das auch in der Theologie, die Menge der Erkenntnisse übersteigt meinen Wissensstand. Ich kann mich aber auch gut auf viele Expertinnen und Experte verlassen. Das, was Sie als "fehlende Voraussetzung" ansehen, liegt in der Natur der Sache. Ein grober Überblick verschafft immerhin schon einen Überblick. Auch ein grober Überblick kann eine Perspektive schaffen, die den "Teufelskreis" zerbricht.
Wenn Sie christlichen Glauben mit unvorstellbarer Angst verbinden, dann hat man Ihnen den Glauben nie korrekt nahe gebracht. Den Personen, die Höllenangst verbreiten und schüren, fehlt jede Voraussetzung Kinder zu erziehen. Solche Menschen sollten nicht über den Glauben sprechen.
Nicht Ihnen, denen fehlt der Überblick! Sie haben - so lese ich Ihre Frage -mehr Überblick als die Gewalttäterinnen und Gewalttäter je hatten. Die haben das kindliche Vertrauen, die Grundlage für den Glauben, aus Ihrem Leben vertrieben. Bitte machen Sie sich deutlich: Sie haben keine Schuld an Ihren Qualen. Auch diese Erkenntnis kann helfen, aus dem "Höllenkreis" heraus zu treten.
Dieses "göttliche Hintergrundbewusstsein", von dem Sie schreiben, passt in den Advent. Im Advent schimmert der Gott durch, der sich eindeutig und beherzt von jeder Angst unterscheidet. Von den dunklen Schatten, die sich über die Seele legen, von den brutalen Gewaltübergriffen, die auch Sie erlebt haben, hat Gott sich vollständig abgegrenzt. Gott will keinen "Höllenkreis" errichten!
Weihnachten zeigt genau das Gegenteil von diesem "Scheusal", das Sie fürchten. Gott erlebt kindliche Ohnmacht, wie die, die Sie vermutlich aus eigener Erfahrung kennen. Wenn sich ein Gedanke, der Ihnen Rettung verspricht, in Ihrem "göttlichen Hintergrundbewusstsein" melden sollte, dann wäre das schon viel. Mehr kann unser Glaube in diesen Advents- und den Weihnachtstagen nicht leisten, er gibt der Welt - vielleicht auch Ihnen - das Signal: Religion soll zum Leben ermutigen. Gott zerbricht jeden Höllenkreis, das ist Weihnachten und das glaubt christlicher Glaube.
Ob Ihnen diese Antwort hilft weiß ich nicht, da Sie aber heute um eine Antwort gebeten haben, versuche ich Sie und unsere Leserinnen und Leser auf diese Weise zu erreichen.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute, Ihr Henning Kiene