Missglückter Besuch in einer katholischen Kirche

Jessica Becker

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

 

meine Frage betrifft die Ökumene bzw. das katholische Selbstverständnis.
Am Sonntag habe ich mit meinem Mann eine Domstadt, den Dom und dann spontan den Gottesdienst dort besucht. Die Predigt hat mich allerdings "umgehauen"! Der Pastor predigte über das Thema des "verwundeten katholischen Glaubens" und führte Beispiele aus seinem eigenen Leben an. So führte er aus, dass er und seine Eltern Heimatvertriebene seien, die aus einem erzkatholischen Landstrich kämen, der nun "verloren sei". Diese Aussage fand ich schon, gelinde ausgedrückt, schwierig.

 

Wütend bin ich geworden, als der Pastor weiter ausführte, er habe dann mit seinen Eltern in einem protestantischen Landstrich leben müssen und er die Frage stellte: "warum muss es Reformierte geben?". Diese Frage war nicht theologisch/historisch gemeint, sondern beschrieb den KATHOLISCHEN verwundeten Glauben.
Ich bin mir in meinem Leben selten so unerwünscht vorgekommen und frage mich, ob und wie ich darauf reagieren soll. Dem Pastor eine Mail schicken? Aber dann frage ich mich, warum, denn schließlich waren wir Gäste in seiner Kirche.

 

Ich fühle mich wirklich getroffen, weil ich es aus meiner Kirche nur so kenne, dass Katholiken selbstverständlich willkommen sind und sich niemals anhören dürfen, der Auslöser für die Reformation gewesen zu sein.
Mein Mann, der übrigens nicht getauft ist, hat mit mir inzwischen den bereits zweiten verunglückten katholischen Gottesdienst (eine Hochzeit von Freunden) besucht, und glaubt nun, Katholiken seien allesamt geschichtsrevisionistische, fundamentalistische Glaubenshardliner. Aber das stimmt doch nicht!
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antwort,

 

mit freundlichen Grüßen
J. Becker

Sehr geehrte Frau Becker,

 

es tut mir herzlich Leid für Sie, dass Sie eine so unangenehme Erfahrung machen mussten. Was Sie in Ihrem letzten Absatz schreiben, ist durchaus richtig: Die römisch-katholische Kirche ist nicht in ihrer Gesamtheit uns Protestanten gegenüber so aggressiv. Was Sie von der Predigt dieses Pfarrers erzählen, klingt mir sehr danach, dass er sich in der „Diaspora-Situation“, also als einer von wenigen Katholiken unter einer Mehrheit von Protestanten, sehr unwohl gefühlt hat, ja vielleicht hat er wirklich gelitten darunter. Ich erinnere mich an Erzählungen meiner Großmutter, die als Katholikin in einem kleinen norddeutschen Dorf ebenfalls unter der Tatsache gelitten hat, dass katholisch dort als Schimpfwort benutzt wurde. Das kann einen schon verbittern. Vielleicht ist es dem katholischen Kollegen ja ähnlich ergangen, und nun hat er seine Verletzungen n seiner Predigt artikuliert.

 

Das soll diese Predigt nicht rechtfertigen, denn selbst wenn keine protestantischen Gäste anwesend sind, sollte er sich solcher Rede enthalten. Schließlich ruft er so eine Stimmung hervor, die die gegenseitigen Abneigungen nur befördert, anstatt sie zu mindern – was man ja eigentlich gerade denen wünscht, die als Minderheit in einem anderskonfessionellen Landstrich leben. Ich würde Ihnen durchaus raten, dem Kollegen zu schreiben. Wenn Sie ihm deutlich machen können, dass Sie sich verletzt fühlten, wird er vielleicht seine Haltung ein wenig ändern können. Vielleicht gelingt es ihm auch nicht, aber es würde zumindest Ihren guten Willen zu einem vernünftigen Miteinander bekunden.

 

Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie beim nächsten Besuch einer katholischen Kirche bessere Erfahrungen machen können. Ich persönlich habe mich schon oftmals sehr willkommen gefühlt. Es liegt wohl wirklich vor allem daran, wer dort gerade auf der Kanzel bzw. im Altarraum steht.

 

Sehr herzliche Grüße
Frank Muchlinsky