Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
an dieser Stelle erstmal danke für die unglaublich tollen Antworten, die sie besonders einfühlsam formulieren, das ist sehr inspirierend! Dankeschön.
Ich habe zwei kleine/große Fragen:
1. Ich fühle mich sehr hin und hergerissen zwischen der Klarheit, dass Gott unseren Verstand übersteigt (und es gefährlich ist zu denken, man könne ihn komplett greifen). Und auf der anderen Seite die Betonung, dass wir glauben sollen wie die Kinder und dem Gedanken, dass Gott wohl nicht nur Akademiker:innen auserkoren haben kann, ihn begreifen zu können (?), was dann wieder für wörtlichere Auslegungen spricht (zugespitzt formuliert)?
2. Gerne wird auch gesagt, es sei Liebe, die Wahrheit zu sagen – welche Bibelstellen könnten dieses Argument insofern entkräften, als dass dies nicht bedeuten soll, in absoluten Dogmen zu denken (?)...
Ich hoffe, ich habe meine Fragen nicht zu kompliziert formuliert.
Liebe Grüße aus einem verkopften Kopf!
Liebe Fiona,
ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihre Fragen richtig verstehe, aber ich will gern schreiben, was ich verstehe. Zur ersten Frage. Anscheinend sehen Sie einen Widerspruch zwischen der Erkenntnis Gottes durch den Geist beziehungsweise durch den Verstand einerseits und dem „naiven“ Glauben von Kindern andererseits.
Gleichzeitig erkenne ich diesen Widerspruch in Ihren Formulierungen nicht. Beide Seiten, die Sie darstellen, laufen doch auf dasselbe hinaus: Gott übersteigt den menschlichen Verstand und kann entsprechend nur anders „begriffen“ werden. Wo liegt also Ihr Konflikt? Ihr Hin- und Hergerissen-Sein? Ist es, dass Sie befürchten, zu naiv an den Glauben heranzugehen? In dem Sinne, dass wer wie ein Kind glaubt auch glauben muss, dass alles, was die Bibel schreibt, genauso geschehen ist?
Wenn das Ihre Befürchtung ist, kann ich Sie beruhigen. In der Bibelstelle, in der Jesus die Kinder als Vorbilder darstellt, geht es nicht um ihren mangelnden Scharfsinn oder ihren Wunderglauben. Schauen wir einmal genau hin: Als Leute Kinder zu Jesus bringen, wollen seine Jünger die Leute daran hindern. Jesus ärgert sich darüber und sagt dann (Markus 10,14-15): „Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn für Menschen wie sie ist das Reich Gottes da. Amen, das sage ich euch: Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen.“ (Übersetzung der Basisbibel) Es geht also beim „Wie-ein-Kind-Sein“ um eine bestimmte Haltung, sich etwas schenken zu lassen. Kinder verdienen sich nicht, was sie bekommen. Sie wissen, was sie wollen und was ihnen guttut, und sie freuen sich, wenn sie es bekommen. Das ist die Haltung, die Jesus fordert: Sei offen für Gott und dafür, was dir der Glauben Gutes tut.
Glauben bedeutet zu vertrauen. Das fällt Kindern vielleicht leichter als Erwachsenen, weil sie noch nicht so häufig enttäuscht wurden, aber es ist der richtige Weg. Wie Sie sagen: Der Verstand fasst Gott nicht. Es braucht das Vertrauen, sonst kommen wir nie in das „Reich“ Gottes.
Zu Ihrer zweiten Frage: Die Wahrheit zu sagen, nicht zu lügen – das ist eines der zehn Gebote (2.Mose 20,16). Es ist also ein sehr wichtiges Gebot. Allerdings macht Jesus immer wieder deutlich, dass es Situationen gibt, in denen ein Gebot ein anderes sozusagen aussticht. In Matthäus 12 geht es zum Beispiel um das Gebot, den Sabbat zu heiligen (auch eines der zehn Gebote). Dort sagt Jesus: „Wer ist unter euch, der sein einziges Schaf, wenn es am Sabbat in eine Grube fällt, nicht ergreift und es heraufhebt?“ Mit anderen Worten: das Gebot, Leben zu retten ist wichtiger als das, den Sabbat zu heiligen und nicht zu arbeiten. Genauso gut kann es Situationen geben, in denen es richtig ist zu lügen. Aber natürlich muss dann der Grund für die Lüge die Erfüllung eines noch wichtigeren Gebotes sein.
Herzliche Grüße! Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen.
Frank Muchlinsky