Beziehung ohne Verliebtsein und Begehren?

Rena

Liebe Frau Bauer-Banzhaf,

 

ich bin seit acht Jahren mit meinem Freund (beide 33 Jahre alt) zusammen. Wir kennen uns noch aus Schulzeiten, waren ursprünglich eng befreundet und sind dann eines Abends bei ihm zu Hause im Bett gelandet. Seit dem führen wir eine Beziehung, in der ich sehr viel Fürsorge, Geborgenheit, Liebe und zu Hause sein erleben durfte. Wenn ich mit ihm (noch vor unserer Beziehung) zusammen war, dann fühlte ich mich immer sehr zu ihm hingezogen, hatte aber nicht dieses Verliebtsein, bei dem ich nicht mehr gerade aus gucken kann und mit rosaroter Brille durch die Welt laufe.

 

Während unserer Beziehung habe ich mich immer mal wieder in andere Männer verliebt und habe mir aber gesagt, dass das wohl normal sei. Nun ist mir vor einigen Monaten ein Mann über den Weg gelaufen, in den ich so verliebt bin, wie noch in niemanden in meine Leben zuvor. es ist als hebe sich die Welt aus den Fugen. Ein schönes Gefühl, doch zugleich sehr beängstigend, da ich meine eigene Beziehung in Gefahr sehe und plötzlich alles in Frage stelle. Glaube, dass Verliebtsein Grundvoraussetzung gehört, um den Partner auch körperlich zu begehren. Das ist genau das, was mir in meiner Beziehung von Beginn an gefehlt hat: meinen Partner zu begehren. Umgekehrt gibt er mir das Gefühl. Und ich hoffte es würde sich auch bei mir einstellen.

 

Doch bin ich nun an einem Punkt angekommen, da mich plötzlich große Zweifel packen. Ich wünschte ich könnte lernen meinen Partner zu begehren, mich neu in ihn verlieben. Doch es fühlt sich für mich falsch an. Gleichzeitig ist doch in den letzten Jahren Liebe zwischen uns gewachsen, die ich nicht verraten will. Da ich meinen Partner nicht hintergehen will, habe ich ihm gesagt, dass ich so verliebt bin, wie nie zuvor in jemanden. Nun schlafen wir erst einmal in getrennten Räumen. Eine Paartherapie will er nicht machen, hat sich aber darauf eingelassen das Buch "Die fünf Sprachen der Liebe" zu lesen - sobald es seine Arbeit zulässt. Gibt es Liebe ohne Schmetterlinge im Bauch? Kann eine Partnerschaft funktionieren die auf Nähe, nicht aber auf Begehren des anderen funktioniert?

 

Es grüßt Sie herzlich und Dank im Voraus Ihre Rena

Liebe Rena,

 

vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche und ehrliche Frage. Ich wünschte, mehr junge Frauen und Männer würden so offen über dieses zugegeben schwierige und komplexe Thema sprechen. Darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Ich versuche es mit einer kürzeren Antwort, die natürlich nur Teilaspekte beleuchten kann.

Es ist wunderschön, in einer Beziehung zu leben, die Ihnen beiden Geborgenheit schenkt und in der Vertrauen gewachsen ist. Letztendlich ist das das Wichtigste in einem stabilen Miteinander: Gemeinsam zu wachsen und das Leben anzupacken mit allen Höhen und Tiefen. Wir sehen nur immer wieder - die klangvollen Sätze sind viel leichter gesagt als gelebt.

 

Ihre Beziehung zu einem neuen Mann ist für Sie natürlich sehr schön. Plötzlich baden Sie wie in Schampus und alles scheint Ihnen heller, bunter, fröhlicher. Der Sex ist neu und aufregend...

Wie weit trägt nun das Vertrauen und die Liebe der alten Beziehung?

Ihrem Lebenspartner ist hier eine undankbare Rolle zugefallen, die er sicher nicht gerne übernimmt. Und doch ist er es, der eine vorläufige Entscheidung fällt. Lässt er Sie los und wartet ab, wie sich die neue Beziehung entwickelt? Hält er seine Position in der Dreierkonstellation aus? Es kommt darauf an, wir stabil sein Selbstwert ist. Daran hängt meistens das große Thema Eifersucht. Je unsicherer jemand in sich ist, desto schneller taucht die Angst vor dem „ich-genüge- nicht“ auf. Es ist bewundernswert und ein Zeichen großer Liebe, wenn das jemand aushält und warten kann. Mit so einem Menschen sollten wir sehr achtsam umgehen.

 

Wenn wir länger mit einem Partner zusammen sind und zusammen bleiben wollen, steht die Frage nach außerpartnerschaftlichen Beziehungen u.U. im Raum. Die meisten Menschen drücken sich um die Klärung und glauben, ihnen passiere das nicht. Das ist ein Trugschluss. Jeder und jedem kann es passieren, immer. Egal in welchem Alter. Unsere Gesellschaft lässt hier jede Menge Parallelwelten zu- jeder kennt jemanden, der „fremd“ geht. Es scheint also menschlich zu sein, Interesse für andere Frauen und Männer zu haben. Es geht also darum, erst für sich selber und mit dem Partner gemeinsam herauszufinden, wie „man“ mit den Bedürfnissen umgehen möchte und welche Werte für beide Partner wichtig sind. In vielen Ehen - nicht in allen(!)  -  schlafen die Verliebtheit und der leidenschaftliche Sex nach einigen Jahren ein. Wenn es nun gut läuft, folgt stattdessen  eine tiefe Verbundenheit mit kleinen Schwankungen. Mal mehr, mal etwas weniger Nähe - aber immer Respekt voreinander. Wer das erlebt, darf wirklich dankbar sein, es ist ein großes Geschenk! Der Rest ist Beziehungsarbeit. Blödes Wort, trifft aber den Kern.

 

Was aber, wenn der Wunsch nach dem Champagnerkribbeln der Glückshormone die Oberhand behält? Dieser Kick der ersten Hormonaufwallungen ist faszinierend - und wird von manchen Menschen geradezu gebraucht. Eine kleine Sucht entsteht und verletzt auf die Dauer mehr als das sie Freude bringt, denn man braucht immer mehr, immer öfter.

Sie schreiben, Sie haben sich schon öfter verliebt. Nun ja, das passiert. Aber inwieweit leben Sie dieses Gefühl dann auch aus? Sich verlieben heißt ja nicht zwingend, mit dem Objekt der Begierde auch ein Verhältnis zu beginnen. Eine bittersüße Liebelei kann wunderbar belebend sein. Es kommt darauf an, was wir ausleben wollen- die feine, kleine Vorspeise oder das ganze Buffet?

 

Lassen Sie sich jetzt erst einmal Zeit. Bitten Sie beide Partner um Zeit. Viel Zeit. Nehmen Sie Abstand von beiden Männern und finden Sie heraus, was Ihnen für Ihr weiteres Leben wichtig ist. Kümmern Sie sich einmal nur um sich, fahren Sie alleine in den Urlaub, wenigstens ein ganzes Wochenende. Machen Sie sich eines bewusst: die längste Beziehung unseres Lebens ist die, die wir zu uns selber haben. Räumen Sie in sich auf, klären Sie für sich, was Ihnen im Leben wichtig ist und wie Sie Ihre Prioritäten setzen wollen. Alles auf einmal gibt es nicht, auch wenn unsere Gesellschaft das manchmal glaubt.

 

Sie schreiben nichts darüber, ob Ihr neuer Partner mit Ihnen eine Beziehung möchte, ob er gebunden ist, ob es ihm genauso geht wie Ihnen. Ein neuer Partner hat eine leere Bühne verdient, auf der sich die neue Liebe frei entfalten kann. In dem Bühnenbild der alten Beziehung wiederholen sich nur die gleichen Szenen in neuer Besetzung. Gehen Sie bitte achtsam und verantwortungsbewusst in ein neues Leben. Die Verletzungsgefahr ist zu hoch.

Es ist selbstverständlich in Ordnung, wenn Sie sich für einen neuen Partner entscheiden. Aber tun Sie das behutsam, langsam. Stürzen Sie sich nicht in die neue Beziehung, denn Sie wissen an Ihrer Seite einen wunderbar vertrauten Menschen, der es verdient hat, dass Sie ihm mehrere Chancen geben.

 

Es ist schwer, ich weiß. Die Verlockung des Neuen ist groß und mächtig. Wenn es denn Ihr neuer Mann sein soll, dann nur zu. Aber, wie gesagt, erst, wenn Sie sich ganz, ganz sicher sind, sonst beginnt Ihre neue Beziehung ohnehin zu belastet. Nach acht Jahren guter Partnerschaft braucht Ihr Freund Freundlichkeit und Respekt von Ihnen. Zurückgehen und den Weg wieder aufzunehmen, das ist meistens schwierig.

Eine Paartherapie kling so nach „krank“- sagen Sie doch Paar- Coaching, das trifft es besser. Es wäre sinnvoll, wenn Ihr Freund sich darauf einließe. Ein guter Coach bringt Sie beide behutsam  näher zueinander. Sie brauchen keinen Ratgeber. Sie brauchen jemanden, der Ihnen beiden dabei hilft, Ihre Gefühle und Bedürfnisse zu entdecken und eine gemeinsame Sprache zu finden.

 

Liebe Rena, ich wünsche Ihnen ein gutes Gespür für sich selber, Bodenhaftung und jede Menge glücklicher Momente, mit wem auch immer. Ihren Männern wünsche ich das Gleiche!

 

Herzlich

Ihre Heike Bauer Banzhaf