Schutz oder Kontrolle?

Hannah

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

vor einigen Jahren bin ich konvertiert von katholisch zu evangelisch, u.a. deswegen weil ich sehr streng konservativ aufgewachsen war, und viele Dogmen der katholischen Kirche nicht teilte.

Doch es gibt eine Sache, die mich oft beschäftigt - behütet mich Gott nun, oder ist das Kontrolle? In Psalm 139,1-12 wird ja beschrieben, daß Gott alles weiß, was wir tun und denken. Ich könnte es auffassen als "ich werde behütet und beschützt", aber ich könnte es auch auffassen als "ich werde kontrolliert, weil Gott alles sieht und weiß". Gerne würde ich immer das erste glauben, aber ich habe oft genug Zweifel. Kann man das wirklich so klar sagen, wie der Psalm 139 aufzufassen ist?

Es wäre allerdings schlimm, wenn Gott tatsächlich kontrollieren würde, dieser Gedanke macht schon Angst.

Viele Grüße an Sie, Hannah

P.S. In der evangelischen Kirche finde ich immer mehr meine Heimat, das wollte ich noch erwähnen.

Liebe Hannah,

 

Sie legen den Finger genau auf das "Problem" von Psalm 139. Alle, die den Psalm auslegen, stoßen immer wieder auf genau ihre Frage: Ist das nun ein Psalm, der Zuversicht und Geborgenheit beschreibt, oder geht es darum, dass Gott den Beter oder die Beterin ganz genau im Auge behält. Vor allem die beiden letzten Verse legen das ja noch einmal sehr nah: "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. " (Vv 23-24) Andererseits klingen einige Verse sehr positiv, ja sogar fröhlich. Zum Beispiel V 14: "Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele."

Ich denke, es ist gerade dieser Zweiklang von Psalm 139, der ihn so faszinierend und auch beliebt macht. Denn es entspricht der Erfahrung vieler gläubiger Menschen, dass die Anwesenheit Gottes einerseits als Angenehm empfunden wird, andererseits als bedrückend erlebt werden kann, gerade wenn man in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist, das einem vor allem "Der liebe Gott sieht alles, also sei artig!" beigebracht hat.

 

Ich persönlich mag diesen Psalm wegen seiner zwei Seiten und denke, dass der Beter oder die Beterin am Schluss Gott sozusagen einen Vertrauensvorschuss gibt: "Prüfe mich! Tu's ruhig. Nicht, weil ich weiß, dass ich alles richtig mache, sondern weil ich vertrauen will, dass Du es gut mit mir meinst, Gott. Ich kann ohnehin nicht ermessen, was für Gedanken Du hegst. Darum sieh mich, wie ich bin."
Das ist, wie gesagt, meine Auslegung des Psalms. Es geht weniger darum, dass Gott mich kontrolliert als mehr darum, dass er mich begleitet und ansieht. Dabei bin ich sicher, dass ihm nicht alles gefällt, doch darum kann es auch nicht gehen. Gottes Maßstäbe sind nicht unsere Maßstäbe. Ich vertraue auf seinen liebevollen Blick auf mich.

 

In der Hoffnung, dass Ihnen meine Gedanken ein wenig weiterhelfen konnten grüße ich herzlich.

Frank Muchlinsky