Tod - Beerdigung - Karfreitag

Susanne

Hallo Herr Muchlinsky, ich habe eine, mir ganz wichtige Frage, die ich jetzt endlich mal loswerden muss, weil seit einigen Jahren, am Karfreitag, immer das Gleiche bei mir passiert. Vielleicht kommt mein "Geschreibsel" etwas konfus rüber. Aber so durcheinander, wie der Text vielleicht ist, den ich schreibe, bin ich auch im Augenblick. Wenn ein Familienangehöriger stirbt, bin ich unfähig zu trauern. Ich kann zu keiner Beerdigung gehen, weil ich nicht weinen kann. Ich habe das Gefühl, dass die Trauergäste erwarten, dass man trauert und weint, wenn ein Familienangehöriger gestorben ist. Aber ich kann es nicht. Beim Tod meiner Oma und auch beim Tod meiner Mutter, bin ich noch auf die Beerdigungen gegangen. Aber nur damit mein Vater nicht sauer ist und schimpft habe ich das getan. Getrauert und geweint habe ich bei beiden Beerdigungen nicht. Auf der Beerdigung meines Vaters war ich dann nicht mehr. Als mein Vater starb, hatte ich vielmehr Wut im Bauch als Trauer. Am Karfreitag sitze ich, jedes Jahr aufs neue vorm Fernseher und feiere den Karfreitagsgottesdienst, der übertragen wird, zu Hause mit. Immer wieder kämpfe ich dann mit den Tränen und irgendwann bricht es aus mir heraus. Dann muss ich so doll weinen, dass ich vom Gottesdienst fast nichts mehr mit bekomme. An unterschiedlichen Stellen geht das Weinen los. Wenn ich der Kirche die Kerzen gelöscht werden, wenn der Altar zugeklappt oder das Altarbild zugehängt wird, wenn es in der Kirche dunkel wird, wenn in der Predigt oder im Gebet das Wort "Kreuz" vorkommt. (So war es in diesem Jahr) Gut, dass ich dann alleine zu Hause vor dem Fernseher sitze und nicht im Karfreitagsgottesdienst in der Kirche. Es wäre mir ganz schön peinlich, wenn mir das in der Kirche im Gottesdienst passieren würde. Aber warum das so bei mir ist weiß ich einfach nicht, obwohl mir beim Weinen viele Gedanken durch den Kopf gehen, die ich aber nicht in der Lage bin, irgendwie zu ordnen. Jeder Mensch trauert und weint, wenn ein Familienangehöriger gestorben ist. Ich nicht! Und am Karfreitag muss ich so weinen, dass ich den ganzen Tag mit verweinten und brennenden Augen rumlaufe. Das ist doch irgendwie verdreht. Können Sie mir, als Theologe, eine Antwort darauf geben, was da in mir vorgeht? Irgendwie ist das doch nicht normal und sehr peinlich. Ich habe das noch keinem erzählt, weil ich befürchte, dass ich für verrückt gehalten und nicht verstanden werde. Aber heute muss es sein, dass ich da mal drüber rede bzw. schreibe. Herzliche Grüße Susanne

Liebe Susanne,

Sie schreiben uns am Karfreitag – mag sein, weil Ihre Eindrücke dieses Tages Ihnen noch ganz präsent  sind oder auch, weil dieser Feiertag grundsätzlich für Sie mit besonderem Erleben verbunden ist. Sie verknüpfen Ihre Beobachtungen zu Ihrem eigenen Verhalten angesichts eines Trauerfalls in Ihrer Familie mit dem, was Sie da beim Mitfeiern eines Gottesdienstes im Fernsehen erleben. Und Sie erwarten, dass individuelle Trauer einem Menschen doch näher gehen müsse als ein ritualisierter Feiertag, zumal vermittelt über ein Medium wie das Fernsehen. Ich kann nur erahnen, woher diese Erwartung stammt, möchte Ihnen aber schreiben, dass das nicht zwangsläufig richtig sein muss. Menschen trauern ganz unterschiedlich: Dass es in unseren Kirchen und Trauerhallen öffentliche Trauergottesdienste gibt, in denen Menschen Abschied nehmen können, gehört mit guten Gründen derzeit zu unserer gesellschaftlichen Kultur. Es ist aber keineswegs notwendigerweise so, dass wir dem Tod eines Angehörigen vornehmlich mit Tränen und Trauer begegnen. Wir trauern um das, was wir verlieren, auch um das, was nicht möglich ist. Gleichzeitig – Sie deuten das an – können mit dem Tod aber auch Gefühle wie Aggression und Wut einhergehen, etwa, mit schwierigen Fragestellungen im Leben nun allein gelassen zu sein. Auch Gefühle von Dankbarkeit und Erleichterung haben Platz. Die Unmittelbarkeit einer oft im Rahmen von Trauerfeiern gestellten Kinderfrage, weshalb denn alle so traurig seien, wenn die Erwachsenen doch glaubten, jemand sei jetzt bei Gott/ jemand sei auferstanden/ jemand sei erlöst, lässt da nachdenklich werden. Der Tod konfrontiert mit individuellen Lebensthemen; deshalb hat die Trauer auch ein je ganz individuelles Gesicht. Der Tod schweißt auch die Lebenden in besonderer Weise zusammen, deshalb lässt sich in unseren gemeinschaftlichen Ausdrucksformen der Trauer zuweilen ein Konformitätsdruck zeigen, was denn eben „so sein müsse“; oft ja auch durch den Umstand, sich bei anderen „abzuschauen“, wie man sich in einer solch unsicheren Situation  angemessen verhalten kann. Das muss aber keineswegs der individuellen Gefühlslage entsprechen. Eine gute evangelische Trauerfeier wird versuchen aufzunehmen, was an Atmosphäre und Themen der Anwesenden da ist, um es angesichts des Todes ernst zu nehmen.

Umgekehrt schreiben Sie von Ihren eigenen Erfahrungen angesichts mehrerer Karfreitagsgottesdienste, die Sie vor dem Fernseher mitgefeiert haben. Mag sein, dies ist für Sie ein stimmiger Ort, um den Tränen eines ganzen Jahres Raum zu geben, vielleicht auch denen, die an den gesellschaftlich konventionalisierten Orten für Sie keinen Platz haben. Wenn dem so ist, möchte ich Ihnen gern raten, mit der Bewertung Ihrer eigenen Emotionen gnädiger zu sein! Die Karfreitagserzählung ist eine des Todes und der scheinbar ausweglosen Gottesferne. Sich dem auszusetzen, erfordert viel Mut, weil die eigenen Geschichten erlebter Gottesferne darin anklingen. Sie schreiben, dass Sie froh sind, dazu nicht „real“ in einem Gottesdienst in einem Kirchgebäude zu sein. Ich selbst als Pfarrerin möchte Sie ermutigen, - für das nächste Jahr - zu überlegen, ob Ihnen nicht gerade dies helfen könnte: Die Gottesdienste in den Kirchen eröffnen Räume, auch komplexen Stimmungslagen in Gebet, im Singen, im Hören und Deuten nachzugehen auf die Spur zu kommen. Und Sie sind damit dann nicht allein gelassen.   Vielleicht kennen Sie, oder mögen sich auf die Suche danach machen, eine Gemeinde oder einen Pfarrer/ eine Pfarrerin, in deren Gottesdienstkultur Sie sich eingelebt haben oder einleben möchten, um diesen Raum für sich zu erschließen.

Eine segensreiche Osterzeit wünscht Ihnen

Ihre Friederike Erichsen-Wendt