Hallo Herr Muchlinsky,
nach welchen Kriterien wird eigentlich die Namensentscheidung für eine Kirche getroffen?
Wir haben in unserer Region eine Thomas-Kirche.
Thomas ist doch sozusagen "der Schwarze Peter" in der Auferstehungsgeschichte: Thomas der Ungläubige.
Ist dieser zweifelhafte Name für eine Kirche überhaupt angemessen?
Dann gibt es in Lübeck eine protestantische Marienkirche, obwohl die Protestanten gar keine Marienverehrung betreiben.
Dann habe ich noch eine Frage:
Warum gibt es eigentlich keine evangelischen
St.-Luther-Kirchen?
Lieber Gast,
Vielen Dank für Ihre Frage! Die Entscheidung, wie sich eine neu gegründete Kirchengemeinde nennt, trifft in der evangelischen Kirche letztlich die Gemeinde selbst. In der Regel trägt die Kirche, die zu der Gemeinde gehört, denselben Namen. Also, die St. Markusgemeinde trifft sich in der St. Markuskirche zum Gottesdienst.
Die Kriterien, nach denen die Namen ausgesucht werden, sind ganz unterschiedlich. Manche gemeinde gibt sich lediglich den Ortsnamen, andere wiederum benennen sich nach Menschen, die als Vorbild dienen können. Es gibt übrigens durchaus Martin Luther Kirchen und sogar Martin Luther King Kirchen. Nur eine St. Luther Kirche werden Sie vergeblich suchen, denn dafür müsste Martin Luther ja heiliggesprochen werden. Das aber tut nur die römisch-katholische Kirche. Und es ist anzunehmen, dass die noch ein wenig brauchen wird, bis sie dem Reformator aus Wittenberg diese Ehre angedeihen lassen wird.
Die Marienkirche in Lübeck ist – wie viele andere Kirchen auch – weit vor der Reformation erbaut und benannt worden. Die Protestanten haben zwar die Kirchen übernommen, sahen aber keinen Anlass, deren Namen zu ändern. Luther selbst war schließlich auch ein großer Maria-Fan.
Generell gilt: Evangelische Kirchen mit "Sankt" im Namen sind nach Personen benannt, die in der Bibel vorkommen. An der Heiligkeit dieser Menschen besteht sozusagen kein Zweifel, denn sie sind ja auch der Heiligen Schrift, in der Gottes Heilsgeschichte beschrieben ist. Da spielt es auch keine Rolle, ob es nun Thomas oder Maria oder Paulus ist. Thomas mag zwar ein Zweifler gewesen sein, aber er war immerhin einer der Zwölf, ein Jünger, von Jesus persönlich ausgesucht. Eine Gemeinde, die sich seinen Namen gibt, möchte vielleicht deutlich machen, dass man hier durchaus einmal zweifeln darf und trotzdem von Jesus geliebt wird.
Es gibt in einigen gemeinden sogar sogenannte Thomasmessen, also Gottesdienste für Menschen, die zweifeln. Thomas ist also jemand aus dem kreis der Jünger, dem man sich sehr nah fühlen kann.
Ich grüße herzlich
Frank Muchlinsky