Kürzlich wurde in einem Gottesdienst die Tochter einer befreundeten evangelischen Familie getauft. Die Familie wohnt in Norwegen und gehört dort zu einer evangelischen Gemeinde. Die beiden Paten sind Mitglieder einer westfälischen evangelischen Kirchengemeinde. Deshalb fand die Taufe nicht in Norwegen sondern in Westfalen statt. Der Pfarrer sagte im Verlauf der Taufhandlung, dass es in Deutschland Sitte sei, dem Täufling das (über Generationen vererbte) Taufkleid erst nach erfolgter Taufe in der Kirche anzuziehen. Bisher habe ich nur Taufen erlebt, bei denen das Kind bereits mit dem Taufkleid bekleidet über den Taufstein gehalten und getauft wurde. Der Freundin und ihrem norwegischen Ehemann war diese Sitte auch fremd. Die beiden älteren Kinder wurden in Norwegen mit dem Taufkleid bekleidet getauft. Täufling Lena (fast 4 Monate alt) hatte nichts gegen Wasser und Segnung, äußerte aber ihr Unbehagen lautstark, danach von dem für sie fremden Pfarrer ins das Taufkleid gesteckt zu werden. Ist diese Sitte in anderen westfälischen evangelischen Gemeinden bekannt und üblich?
Liebe/r Frau/Herr Lehmann,
Ich muss zugeben, dass ich zunächst auch verwundert war, denn von einem solchen Brauch hatte ich selbst noch niemals gehört. Für mich war klar: Das Kind wird in ein schönes Taufkleid gehüllt, bevor es zur Kirche geht-. Aus- und wieder Anziehen, waren mir in diesem Zusammenhang fremd. Darum habe ich Kolleginnen und Kollegen aus anderen Landesteilen gefragt, und die haben mir beschrieben, dass es in bestimmten Gegenden durchaus diese Sitte gibt, dass die Täuflinge erst nach der Taufe das weiße Taufkleid als Zeichen der neuen Reinheit angezogen bekommen.
Es tut mir leid, wenn Lena es als unangenehm empfinden musste, nass, von fremden Händen in ein Kleid gesteckt zu werden. Der Kollege vor Ort kann sich auf die Tatsache berufen, dass diese Handlung in der Tat in der Taufordnung der Kirchen der EKU (Evangelische Kirche der Union) steht – dort allerdings nicht als unbedingt nötig, sondern als Möglichkeit.
Ich grüße Sie sehr herzlich!
Frank Muchlinsky
P.S. Noch ein Nachtrag: Eben erfuhr ich, dass es wohl vor allem ein landsmannschaftlicher Brauch ist, denn auch in lutherischen Landeskirchen wird hier und dort der Brauch gepflegt, den Täufling nach der Taufe entweder in das Kleidchen zu hüllen, oder ihm ein sogenanntes "Westerhemd" (eine Art Taufschleier) aufzulegen.