Hallo Frau Löw! Mit großem Interesse habe ich Ihre Antwort auf die Frage von Herr Niedermeier ("Woher wissen Sie, welche Inhalte der Bibel tatsächlich gelten?") gelesen, v.a. weil es zu einem geeigneten Zeitpunkt kam. Meine Mitbewohnerin, die derzeit einen einjährigen Kurs an einer Kirche hier in England besucht. Gestern kam sie nach Hause und war etwas traurig, weil sie eine lange Diskussion mit einem ihrer Klassenkameraden zum Thema Frauen in der kirchlichen Leitung hatte. Der Freund bezog sich in vielen seiner Argumente auf einen Bekannten, der die Bibel schon mehrmals durchgelesen hätte und diese auch sehr wörtlich nimmt. Zum perfekten Zeitpunkt bin ich dann durch Sie auf Galater 3, 28 gekommen, wo es ja heißt, dass wir alle - egal, ob Mann oder Frau - eins in Christus sind. Nun meinte der Freund aber, dass dies nicht als Argument benutzt werden kann, da es ja nicht im Kontext von Frauen und Autorität steht. Nun frage mich, woher ich aus der Bibel nehmen kann, dass es eben doch ok ist, wenn Frauen leiten. Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Bibel aufgrund ihres historischen Kontextes eher, nun ja, ein Stück weit antifeministisch ist, doch würde es mich interessieren, ob es außer Galater 3,28 noch andere Bibelstellen gibt, die belegen, dass Frauen dazu in der Lage sind, aunzuleiten, und dass Gott das auch für uns will. Ich danke Ihnen schon im Voraus für Ihre Antwort! Ganz liebe Grüße aus England, Hester Bieber (eine gläubige Feministin)
Liebe Hester Bieber,
wenn ich lese, was Sie schreiben, erinnere ich mich an mein Studienjahr in Großbrittanien. Da waren wir zu Gast in einer evangelikal-charismatischen Gemeinde und der Pastor dieser Gemeinde sagte uns „government ist male“ – also Gemeindeleitung/Führung sei männlich. Mir hatte es den Magen dabei rum gedreht. Vermutlich hat er ähnlichen theologischen Hintergrund, wie der Klassenkamerad, mit dem ihre flatmate sprach.
Wenn es dezidiert darum geht, Frauen im Pfarramt biblisch zu begründen, finde ich, wie gesagt Gal 3,28 gut, - dass es bei Gott weder Mann noch Frau gibt. Das beeindruckt aber diesen Klassenkameraden offenaber nicht....
Menschen seiner Prägung sagen, es ginge bei dieser Stelle um das Heil und nicht um die Aufgaben in der Gemeinde. Das ist aber aus evangelischer Sicht nicht stichhaltig. Das Heil, das uns durch Christus geschenkt ist, ruft alle Getauften in die Nachfolge, also auch in die Verkündigung.
Ferner würde ich auf Röm 16,1 verweisen. Hier finden sich unter den Grußworten des Apostels die zumindest als διακονος (diákonos) bezeichnete Phoebe. Im Römerbrief findet sich auch die Erwähnung einer Junia, die „unter den Aposteln berühmt“ sei (Röm 16,7) .
Das stärkste biblische Argument für Frauen in der Verkündigung ist für mich aber dies: die ersten Osterzeuginnen waren Frauen. Die Frauen am leeren Grab realisierten als erste die Auferstehung Jesu und bekamen den Auftrag, zu verkündigen, dass Jesus lebt. So bekommt z. B. Maria Magdalena in Joh 20 den Auftrag von Jesus. Sie soll verkündigen. Sie soll eine Botschaft ausrichten. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu. Maria Magdalena ist die erste Osterzeugin. Sie soll den Jüngern sagen, dass Jesus hinaufgeht zum Vater, dass er hingeht zu Gott. Im Grunde soll sie die Jüngern alles sagen.
Zu der Stelle im Timotheusbrief ("Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still" 1.Tim 2,12) hat die Evangelische Kirche in Deutschland einen ausgesprochen klaren Einwand formuliert:
"Die isolierte Betrachtung einzelner biblischer Sätze, aus denen verschiedentlich die Ungleichheit der Geschlechter abgeleitet werden soll, hat sich als nicht haltbar erwiesen. Heute ist in der EKD Konsens, dass Gehorsam gegenüber der Bibel nicht bedeuten kann, dass einzelne Bibelverse als "Beweissätze" isoliert werden und dabei ihr engerer und weiterer Kontext ausgeblendet wird. Vielmehr erschließt sich das Verständnis biblischer Texte erst aus dem Zusammenhang der vielfältigen biblischen Traditionen, die gerade in ihrer Verschiedenartigkeit und Zeitverflochtenheit gelesen werden müssen." (aus: Rolle der Frau in der EKD, Anhörung vor dem Gleichstellungsausschuss des Europarats "Frauen und Religion" am 10. September 2004)
In diesem Einwand wird deutlich, dass die Gegner der Frauenordination (Frauen als Pfarrerinnen/Pastorinnen) eine grundsätzlich unangemessene Art der Bibelauslegung nutzen, um ihre Argumente zu untermauern. Es ist wirklich die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, sich wechselseitig Bibelstellen um die Ohren zu schlagen. Aber, wenn dieser Klassenkamerad welche hören mag, haben wir nun welche gefunden :-)
Wie im Gespräch mit Marc Niedermeier auch deutlich wurde: Der Fehler bei dieser Art der Bibelauslegung ist, dass hier die Schrift selbst als die Offenbarung Gottes herangezogen wird. Die Offenbarung Gottes aber ist nach unserem Bekenntnis Jesus Christus selbst. Die Bibel, die Schrift ist lediglich das Zeugnis dieser Offenbarung. Darum kann sie niemals Gesetz sein, sondern ist Evangelium, frohe Botschaft von den Heilstaten Gottes.
Wenn wir also die Schrift heranziehen, um zu schauen, was wir aus ihr zum Thema der Frauenordination lernen können, müssen wir die Gesamtheit der Botschaft im Blick behalten. Diese aber besagt, dass es in geistlicher Hinsicht – und nach evangelischem Verständnis! – keinen geistlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Eine wichtige Errungenschaft des Protestantismus ist die Besinnung auf das sogenannte "Priestertum aller Getauften". Das besagt, dass alle Getauften in die Nachfolge Christi berufen sind.
Wir alle, die wir getauft sind, sind zur Nachfolge Christi berufen. Das bedeutet, dass jede und jeder Getaufte auch das Amt der Pfarrerin oder des Pfarrers anstreben kann - bzw. generell Führungspositionen. Was ich besonders dem Klassenkamerad gegenüber auch noch betonen würde: Der Heilige Geist wirkt. Jesus lebt. Gott beruft Menschen. Und wer ist der Klassenkamerad, dass er, wenn Gott einer Frau eine Berufung gibt, dem widersprechen könnte?
Mit herzlichen Grüßen auf die Insel - auch im Namen von Pastor Muchlinsky -
bleiben Sie wacker feministisch, Schwester! -
herzlich, Ihre Sabine Löw